Reiseziel-Sponsoren Reiseziel-Sponsor werden

Das Amt - der ganz normale Athener Wahnsinn (Teil 4)

Von Der Athener

... der mich nach Melissia führte. Ich fuhr die Straßen ab, auf der Suche nach dem Finanzamt, welches nicht existent zu sein schien. Ich hielt an einem Kiosk und erfuhr vom Besitzer, daß Melissia kein eigenes Finanzamt habe, aber daß im Nahe gelegenen Maroussi sehr wohl eins sei, er wisse aber nicht genau wo, weil er sich solche Behördengänge nicht antue. „Ich schicke immer die Frau dahin, wenn es etwas zu erledigen gibt.“ (Er meint seine Ehefrau, Griechen reden oft von „die Frau“, wenn sie Ihre Gattin meinen.) Fehler denke ich mir, jetzt rächt sich der Fehler, damals die Scheidung eingereicht zu haben. Wo ist nun die Frau, die ich schicken könnte. Meine Gedanken schweiften zurück in die Zeit in der ich glückliche Tage mit meiner kleinen Angela in diesem Land verbracht hatte. Du mußt sie mal anrufen, denke ich mir noch, sitze aber schon im Auto und krieche im Verkehr nach Maroussi.

Ich frage mich durch und finde das Finanzamt, welches doch sage und schreibe keine 5 Minuten Fußweg vom Hauptgebäude der Interamerican ist, dem Anfang meiner Odyssee. Parkplatzsuche... 50 Blocks... und so weiter und ich stehe am Eingang des verhältnismäßig kleinen Gebäudes. Im unteren großen Saal eine ellenlange Schlange an einem Schalter... aber hier brauche ich nicht hin. Ich frage mich durch, lande diesmal in der 3. Etage. Es sind nur ca. 50 Menschen vor mir dran und es ist gerade mal 9:30, also besteht Hoffnung denke ich mir.

Das Wissen, daß ich meine Bescheinigung heute noch brauche, wegen er Euro-Umstellung, läßt ungeahntes Durchsetzungsvermögen in mir wach werden. Ich erinnere mich an Gersfeld, wo mir auf einem Leergang für Projektleiter beigebracht wurde, daß im Umgang mit Generalunternehmern ein Stückweit Bereitschaft da sein muß seine kriminelle Energie einzusetzen um sich behaupten zu können. Ich weiß zwar in diesem Moment nicht, was mir das nützen soll, lege den Gedanken aber nicht zu weit weg.

Zwischen Publikum und Beamten ist eine Art 1,50 Meter hoher Tresen aufgebaut, mit einer kleinen Schwingtür in der Mitte, ähnlich der, wie man sie aus den Saloons in den Western kennt. Diese Absperrung trennt den Mob der Antragsteller von den fieberhaft arbeitenden Staatsdienern. Hinter dieser Abgrenzung links und rechts je drei Schreibtische mit genervten Beamtinnen und Beamten. Ein weiterer Schreibtisch, unbesetzt, es ist der einzige, der über einen Bildschirm verfügt. Am Kopfende ein weiterer, etwas größerer Tisch mit einer Blumenvase. Dort sitzt ein Herr mit schwarzem Anzug und das Schild über seinem Kopf weist ihn als „Proistamenos Ipiresias“ aus (Amtsleiter): Meine anfängliche Hoffnung, daß die sechs Beamten den Andrang schnell abarbeiten würden platzt wie eine Seifenblase, als ich registriere, daß nur eine von ihnen für Schenkungsurkunden zuständig ist. Das Publikum drängt immer näher an den Tresen und es herrscht eine Art Panik in diesem Raum, eine große Unruhe. Das Volk drängt immer näher an den Tresen, schiebt sich teilweise durch die Schwingtür, schimpft, ist ungehalten. Es herrscht eine Lautstärke, die den Kölner Hauptbahnhof wie einen verlassenen Friedhof erscheinen läßt. In Angst um seine Untergebenen greift der Amtsleiter ein. Wer an Deutsche Amtstuben denkt, wo man im Gang wartet bis man hereingerufen wird hat hier ein falsches Bild vor Augen. Mit einer Schere schneidet der weise Mann sorgfältig kleine Zettelchen zurecht und versieht sie mit Buchstaben und Nummern. D1-x... für Schenkungen (Dorea), K1-x für Erbe (Klironomia) und so weiter. Mit diesen Zetteln bewaffnet wagt er sich unter das gereizte Publikum, erfragt wer für was hier sei und unternimmt den verzweifelten Versuch uns in irgendeine Ordnung zu bringen. Und es gelingt diesem Helden tatsächlich, lebend aus der Meute wieder rauszukommen, mit dem Ergebnis, daß nun jeder eine Nummer hat und somit die Reihenfolge geklärt ist, denke ich mir zumindest. Erschöpft zieht er sich hinter seinen Schreibtisch zurück und versinkt in eine Art meditative Unbeweglichkeit.

Ich bin nun stolzer Besitzer des D6 Zettels und vor mir ist D1 gerade in Arbeit. Beruhigt rauche ich im Gang eine Zigarette, störe mich nicht am Nichtraucher Schild, so wie die anderen Rauchenden es auch nicht tun. Ich gehe noch eine Runde um den Block um etwas frische Luft zu schnappen und kehre nach ca. 40 Minuten wieder zurück. Alles ist noch beim Alten, nichts hat sich verändert, die Dame mit der D1 ist noch nicht abgefertigt und ich gerate bei einem Blick auf meine Uhr .... IN PANIK!!! 40 Minuten für D1... 40 für D2... und ich rechne hoch und erkenne das D6 so gegen 20:00 Abends an der Reihe sein müßte... Oh Gott, 13:30 machen die zu denke ich mir, der Euro... vorbei... das war’s. Im nächsten Urlaub vielleicht. D1 ist aber erstaunlicherweise doch irgendwann erledigt, D2 in gerade mal 10 Minuten abgefertigt und ich habe wieder etwas Hoffnung.

Etwas Schadenfroh über seine hohe Nummer lasse ich mich von der D15 in ein Gespräch verwickeln, höre mir sein Leid an, daß er jetzt schon seit einer Woche von Amt zu Amt unterwegs ist und seinen Laden solange schließen mußte. Ich überlege, in Kenntnis der schleppenden Bearbeitung hier ob ich ihn darauf hinweisen soll, daß nach meinen Berechnungen die D15, rein hypothetisch gegen 3:00 Nachts an der Reihe ist, aber ein Blick in seine verzweifelten Augen sagt mir, daß ich nicht das Recht habe diesem Menschen seine Hoffnung zu nehmen. Auch die Idee, ob es nicht sinnvoller wäre sein Geschäft zu verkaufen, da er, wenn er es nicht bald wieder öffne doch im Konkurs enden würde teile ich ihm nicht mit, wohlwissend, daß auch für den Verkauf eines Ladens mit Sicherheit Behördengänge von Nöten sind und ihn das nicht weiterbringen würde.

Jetzt mischt sich auch D8 in das Gespräch ein und versucht mich nach einem neidvollen Blick auf meine Nummer zu überzeugen, daß mit Sicherheit ein Dokument fehlt und ob ich es nicht besser erst noch besorgen wolle. Ich durchschaue den arglistigen Trick, sie will offensichtlich, daß ich den Mut verliere, hofft vielleicht, daß ich ihr meine Nummer abtrete, oder zumindest, daß sie durch meine Aufgabe um einen Platz nach vorne rückt. Als sie merkt, daß ich mich nicht beirren lasse beginnt auch sie mir Ihr Leid zu klagen, die Kinder kämen aus der Schule und würden nun, bei der Kälte draußen (18 °C) auf die Mutter warten müssen, da sie keinen Schlüssel haben und die Oma gestern mit schweren Herzproblemen in Krankenhaus gebracht werden mußte, dort würde ihr Mann am Krankenbett verweilen, ich wisse ja bestimmt, wie das in staatlichen Krankenhäusern abläuft. Sie bekreuzigt sich dreimal, stösst ein „Woitha Panagia“ (Mutter Gottes hilf) und wirkt verzweifelt.

Und so lerne ich sie alle kennen, mittlerweile sprechen wir alle durcheinander, die D4, D8, D17. Ich lerne alle Geschichten kennen, die Gründe aus denen sie hier sind, Ihre Leidensgeschichten, aber so ist das immer auf den griechischen Ämtern. Auch sie wissen jetzt über mich Bescheid, Griechen sind sehr wissensdurstig, und in Deutschland undenkbare Fragen über mein Einkommen, meine Familiären Zustände, meine politische Gesinnung werden mir gestellt. D12 wundert sich, daß ich im Alter von fast 40 noch keine Kinder gezeugt habe und schüttelt verständnislos mit dem Kopf. Die Kinder sind der Sinn des Lebens, die Kinder sagt sie noch und wendet sich ab.

Ich präge mir genau das Gesicht der D5 ein, damit ich meinen Auftritt als direkter Nachfolger in der Reihe bei der zuständigen Sachbearbeiterin nicht verpasse und beobachte das nun beginnende Wortgefecht zwischen dem Publikum und den Beamten. „Wie zahlen Eure Gehälter und Ihr quält uns hier“ ruft einer in Richtung Blumenvase. Einer der Beamten schmeißt den Kuli, Billigmarke Bic, an die Wand und schreit erbost zurück „Das sagst Du nicht noch einmal, das sagst Du nicht noch einmal“. „Das ist kein Staat“ ruft ein anderer aus dem Publikum, „Aber ihr seid es Schuld, Ihr die PASOK gewählt habt.“ „ Ja“ kontert ein anderer „Wir haben ja alle gesehen, wie es bei Euch Neodimokrates abgelaufen ist“. (NEA DIMOKRATIA / Neodimokrates . Anhänger einer der Opositionsparteien) Ein ewig gestriger gibt noch sein „Chounta thelume, mono epi Chounta chesostastan ke kanate tin doulia sas“. zum Besten. (Wir wollen die Junta wieder, nur während der Junta (Militärdiktatur in den Endsechzigern) hattet Ihr die Hosen voll und habt Eure Arbeit (vernünftig) gemacht). Damit meint er wohl die Beamten und jetzt erwacht auch der Amtsleiter aus seiner Meditation.... Er erhebt sich langsam und brüllt, lauter als der Pöbel „Wenn ihr nicht alle sofort ruhig seid, dann gebe ich Anweisung die Bleistifte (er sagt wirklich Molivia, Bleistifte) niederzulegen und dann steht ihr in drei Wochen noch hier. Scheisse denke ich mir... bitte nicht. Offensichtlich denken auch andere so und so langsam kehrt Ruhe ein. Unterdrückte Wut, wie ich bei vielen sehe, aber sie werden äußerlich ruhig.

Geschrieben 06.03.2002, Geändert 06.03.2002, 720 x gelesen.

Was möchtest du?

Kommentare zu diesem Artikel

Bisher gibt es noch keine Kommentare.