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Kinder in Griechenland II

Von kanatas

Der anonyme Artikel "Kinder in Griechenland" vom „sandfloh“ kritisiert das Schulwesen in Griechenland. Die Kritik ist nicht ungerechtfertigt, aber leider an dieser Stelle hier bei www.in-greece.de wenig sinnvoll plaziert. Deshalb bitte ich meinen anonymen Landsmann, er möge etwas detaillierter seine Kritik an das griechische Ministerium für Schulwesen und Religion (ÕÐÏÕÑÃÅÉÏ ÅÈÍÉÊÇÓ ÐÁÉÄÅÉÁÓ ÊÁÉ ÈÑÇÓÊÅÕÌÁÔÙÍ) richten und auch an die europäische Kommission.

Persönlich kenne ich das Bildungswesen in Griechenland durch meine vier Kinder; eine Tochter (13) besucht die 2. Schulstufe (von 3) des Gymnasiums, ein Sohn (10) ist Schüler der 4. Schulstufe (von 6) der Volksschule. Die beiden kleineren (5 und 3) besuchen einen staatlichen Kinderhort. Was nun diese Schulen in Tinos (Kykladeninsel) betrifft, so darf ich sagen, dass der Unterricht auf Grund des Einsatzes der Lehrerinnen und Lehrer ein recht gutes Niveau aufweist. Das kann ich beurteilen auf Grund meiner dreizehnjährigen Unterrichtserfahrung im berufsbildenden Schulwesen in Österreich (an der Landesfachschule für Keramik und Ofenbau in 7344 Stoob – Bgld - Austria), wenngleich ein Unterschied zum Grundschulunterricht besteht, ein ausgebildeter Volks- oder Hauptschullehrer könnte hier sicher besser vergleichen.

Auch kann ich mit einiger Sicherheit auch von der Oberstufe des Gymnasiums (diese 3 Jahre sind nicht mehr Pflichtschulzeit) auf Tinos sagen, dass – im gesamtgriechischen Vergleich – die Schüler dieser Schule sehr gute und beste Ergebnisse aufzuweisen haben bei den gesamtgriechischen Uni-Aufnahmeprüfungen. Ein positiver Rückschluss auf die Qualität dieses Lyzeums ergibt sich aus diesen Schülerleistungen.

Wenn ich nun das Schulwesen auf Tinos so positiv beurteile, vergesse ich nicht zu erwähnen, dass Reinigung und Instandhaltung der Schulen von der Stadtgemeinde Tinos, der Stiftung der Muttergottes von Tinos und den Elternvereinigungen getragen bzw. mitfinanziert werden. Soviel kann ich also zum Schulwesen etwas konkreter als unser lieber anonymer Landsmann aus Linz sagen. Tatsächlich aber gibt es Mängel, die an einer österreichischen Schule nicht oder nur im Ausnahmefall auftreten.

Informatikunterricht : Computer, die nicht funktionieren oder nur teilweise (Gymnasium Tinos). Fehlende Unterrichtsräume oder Klassenzimmer in Bienenwabengröße (2. Volksschule Tinos). Lehrkräfte, die auf Grund schlechter Organisation erst nach Monaten an die Schule berufen werden – das geschieht Jahr für Jahr! Fehlendes Unterrichtsmittel – manche Professoren beziehen die Lehrunterlagen von irgendwelchen Sites im Internet, fotokopieren dieses Material und geben es anstelle von Lehrbüchern an die Schüler weiter (techn. Lyzeum Tinos). Letztere Schule, eben dieses techn. Lyzeum Tinos, wurde von Schülern und Lehrern bestreikt, weil Raumnot bestand. Das neue Schulgebäude, welches daraufhin in Angriff genommen wurde, scheint in einem Bauskandal auszuarten – sowohl was die statische Bausicherheit betrifft als auch die Bauzeit.

Nehmen wir nun an, das öffentliche Schulwesen auf Tinos ist so wie von mir beschrieben überwiegend positiv zu bewerten. Wie aber ist es dann anderswo wenn:

  • Elternvereine und Gemeinden kein Interesse zeigen?
  • Das Lehrpersonal gleichgültig ist?
Denn diese Faktoren sind die einzigen, die das negative Bild des griechischen Schulwesens lokal aufbessern. Denn der griechische Staat hat, neben seinen schlecht organisierten Ministerien und einer nur schleppend funktionierenden Bürokratie, die Hand auch nicht sehr tief im Säckel, wenn es um das Bildungswesen geht. Und das ist ein Skandal!

Dem Phänomen des Geldmangels im Bildungswesen hat selbst eine sozialistisch orientierte Gesellschaft seit Anfang der 80 er Jahre nicht Abhilfe geschaffen. In dieser Hinsicht muss ich wieder unserem Linzer Freund recht geben, der auch wenn er nicht in Griechenland lebt, kein Pädagoge ist, vielleicht auch keine Kinder hat, das Problem recht gut skizziert. In vielem muss ich ihm leider zustimmen.

Griechenland hat sich verändert und mit dem Land auch seine Bewohner. Die Tendenz alles westliche und vermeintlich fortschrittliche anzunehmen, aufzunehmen wie ein Schwamm, war nicht in allem segensreich. Wußten Sie, daß die Hellenen den Abtreibungsweltrekord mit ca. 500.000 Abtreibungen im Jahr halten oder daß Griechenland die geringste Geburtenrate Europas hat?

Dennoch wird diese Gesellschaft – noch - von Werten gehalten, die wir vor allem bei der Eltern- und Grosselterngeneration finden. Noch gibt es Werte, welche die griechische Gesellschaft liebenswert machen. Das ist die Familie, vielleicht auch die Großfamilie. Ein Wert, der den meisten Zentraleuropäern verlorenging durch den letzten großen Krieg und die darauffolgende Völkerwanderungen und die „Mobilität“ unseres modernen Zeitalters.

Die griechische Großmutter, die auf die Kleinkinder „achtgibt“, mag keine pädagogische Ausbildung haben, aber hat etwas was der beste Kinderhort nicht vermittelt: ein Zuhause, Liebe und Geborgenheit. In diesem Punkt hat mein lieber Freund aus Linz unrecht und ich wünsche ihm, er möge irgendwann eine funktionierende Großfamilie kennenlernen. Ein Bereich, der selbst christliche Werte und Glaubensinhalte weiterzugeben imstande ist und vieles was die moderne Gesellschaft heute anderswo vermissen läßt noch hat: Treue, Liebe, Geduld, Nachsicht, Nächstenliebe, Opferbereitschaft, Gastfreundschaft und Gottesfurcht.

Was wird sein, wenn es diese Menschen, die an der Grenze der durchschnittlichen Lebenserwartung stehen, nicht mehr gibt? Wird das von einem funktionierenden Bildungswesen und einem für alles sorgenden Staatswesen wirklich ersetzt werden können?

Nun ich glaube, das Bildungswesen in Griechenland hat noch viele Änderungen aber noch mehr persönliche Bemühungen notwendig, um „europareif“ zu werden. Andererseits dürfen aber familiäre Werte und Strukturen der griechischen Gesellschaft nicht einfach „über Bord“ geworfen werden.

Autor

Bernhard Aicher, Tinos, Hellas - info@clayart.gr

Link

http://www.clayart.gr

Geschrieben 15.10.2000, Geändert 15.10.2000, 4055 x gelesen.

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