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Wanderung im Kedros-Gebirge Oktober 2003

Geschrieben am 27.10.2003 19:17:51

Von
Christina
Christina

1314 x gelesen
3 Antworten

Dieser Abschiedsschmerz. Ich kann es immer noch nicht wahrhaben, nun wieder in Deutschland zu sein. Immer wieder denke ich an Kreta und an die wunderschönen Erlebnisse der letzten 2 Wochen. Ein weiteres davon möchte ich mit euch teilen:


Ορος Κέδρος

Schon immer einmal wollte ich nach Kria Vrisi. Dieses kleine Dorf am Fuße des Kedros-Gebirges, das man linkerhand sieht, wenn man mit dem Bus von Rethimnon nach Agia Galini fährt. Ich weiß nicht genau, warum, aber es ist gerade die Kahlheit der Berge Kretas, die auf mich einen so großen Reiz ausübt. Vielleicht wegen der klaren und einfachen Aussagen, sozusagen der Präsentation der nackten Tatsachen, die man sich innerlich dann selbst ausschmücken kann.

In diesem Oktober sollte einer meiner Träume wahr werden. Da mein lieber Wandergefährte und ich weder über ein Auto verfügen noch uns in einem der umliegenden Orte gesondert für die Kedros-Wanderung einquartieren wollen, beschließen wir, die ersten Busse zu nehmen, die uns nach Kria Vrisi, dem Ausgangspunkt unserer Wanderung, bringen.

Gestartet wird also noch in frühmorgendlicher Dunkelheit von der Hauptstraße zwischen Matala und Mires, weniger als einen Kilometer von Sivas entfernt. Der 7-Uhr-Bus ab Matala kommt pünktlich und fährt uns – mit Umweg über Pombia (wegen der Schulkinder) – in kurzer Zeit nach Mires. Das Städtchen hat gerade herzhaft gegähnt und macht sich nun langsam daran, den neuen Tag zu beginnen. In der frisch verlegten Bushaltestelle (nicht mehr bei Antonio, sondern ein paar Meter daneben, in einem Ecklokal) bekommen wir zumindest schon mal einen ersten Kaffee, und haben noch ein wenig Zeit, das heimelige Gefühl auszukosten, zwischen all den gerade aufgewachten Kretern und der herzlichen Kaffee-Verkäuferin in diesem Lokal, so angenehm einhüllend und gemütlich warm.

Schon sehr bald fährt unser Bus nach Agia Galini ab. Die Fahrt nehme ich nur schemenhaft wahr. Bin in Gedanken schon bei der Wanderung. Was wohl auf uns zukommt? Wird der Weg steil sein? Und vor allem: Werden dort riesige Ungeheuer von Hütehunden ihr Unwesen treiben?

Zuvor jedoch sollten wir uns unbedingt stärken, was dann auch im frühmorgendlich erhellten Agia Galini geschieht. Fast keine Touristen unterwegs. Entweder schlafen sie noch alle oder es gibt im Ort um diese Jahreszeit nur noch ganz wenige. Ich persönlich komme immer wieder gerne hierher, auf einen Abstecher. Und obwohl ich mich liebend gern in den kleinen Dörfchen abseits des großen Tourismus herumtreibe, so genieße ich doch den gelegentlichen Ausflug in dieses Touristenörtchen. Immerhin war es mein erster Landeort auf Kreta, 1986, im November, damals nach einem Sommer auf Naxos am Plaka-Strand (Agia Anna), mit viel Mut und Unwissenheit. Ich hatte gehört, dass man auf Kreta im Winter Arbeit finden konnte. Also hatte ich mich kurzerhand entschlossen, mit 2 Reisegefährten hierher zu kommen, ein wenig zu arbeiten und mir die Insel anzuschauen, nach ein paar Wochen dann endlich wieder nach Deutschland zurückzufahren. Hatte noch kykladische Dimensionen im Kopf und war auf die Größe Kretas überhaupt nicht gefasst. Auch auf alles andere nicht.

Ich fand Kreta ganz schrecklich, am Anfang. Es regnete, wir hatten kaum noch Geld, wir froren in unseren Schlafsäcken, die wir in einem Rohbau in Agia Galini ausgerollt hatten, brauchten etliche Tage, um an Arbeit (später in Timbaki) und vernünftiges Essen zu kommen und an eine warme, trockene Unterkunft. Ja, so war das damals, der Strand von Agia Galini existierte in dieser Form nicht, auch nicht der angelegte Garten linkerhand, unterhalb der mit Netzen bedeckten Felsen zwischen Ort und Strand. An einer Stelle sollte es dort angeblich vor Schlangen nur so wimmeln. Oh Schauder.
In späteren Jahren genoss ich die Jazz-in-Jazz-Bar, in die mich ein Freund mitschleppte. Mit ganz viel Flair, sie hätte auch genauso gut in New Orleans stehen können (zumindest, was meine Vorstellung von N.O. angeht). Später ist der Besitzer mitsamt seiner Bar leider nach Athen umgezogen.

Im Oktober letzten Jahres hatte ich in meinem Hotel in Sivas die aus Nordgriechenland spontan für ein Jahr hierher versetzte und „hochbegeisterte“ Dorfschullehrerin kennen gelernt und eine deutsche Frau, die mehrere Jahre auf einer anderen Insel gelebt hatte und jetzt irgendwie unterwegs war, mit eigenem Auto. Spontan entschlossen wir uns, einen Nachmittag in Agia Galini zu verbringen. Es zog uns damals zum Strand, in eine der Bars, in denen man in bequemen Stühlen bei mehreren leckeren Getränken und leiser Musik abhängen konnte. Entspannte Gespräche, die drei Frauen irgendwo auf der Welt hätten führen können. Später präsentierte man uns noch einen wunderschön roten Sonnenuntergang, von der Hafenmauer aus gesehen.

So viele Erinnerungen an Agia Galini, obwohl ich immer nur sporadisch da war. Und nun noch um eine reicher, da Zwischenstation mit kräftigendem Frühstück und Vorfreude auf den Berg.

Der Bus bis Nea Kria Vrisi, an der Hauptstraße nach Rethimnon, braucht nur wenige Minuten. Er hält kurz vor dem örtlichen Kafenion, das uns später noch sehr gelegen kommt, wegen der kühlen Getränke. Die Angst vor möglichen Hütehunden auf dem Kedros wird von der Kafenionwirtin zerstreut. Man wußte ja nicht, ob nicht doch ein paar gut bewachte Schafherden da oben in the middle of nowhere weiden. Sie warnt uns allerdings vor der Möglichkeit plötzlich heraufziehenden Nebels. Der Weg führe zuerst in Richtung des Nachbardorfs Kria Vrisi, und dann, vor dem ersten Haus, sollen wir links abbiegen, den Feldweg hoch.

So beginnt das Abenteuer Kedros.
Der Blick von weitem auf den Berg war schon sehr anziehend, für mich nicht einschätzbar, wo genau jetzt der Aufstieg sei und wie steil sich das ganze darstellen würde. Bin schließlich keine erfahrene Bergsteigerin. So aus der Nähe betrachtet erscheint er mir für meine Verhältnisse dann doch recht anspruchsvoll. Eine ältere Frau, die links in einem Garten arbeitet, erwidert meinen Gruß nicht, sondern wendet sich ab. Noch Ressentiments wegen des „Brennenden Kedros“? Ein ganz schwieriges Kapitel unserer Geschichte, mit dem ich bis heute noch nicht umgehen kann. Solche Begegnungen nehmen mich innerlich immer mit. Auch wieder ein kurzer Gedankenblitz an Anogia und Kalavrita, wo ich sehr deutlich gezeigt bekam, was unsere Vorfahren angerichtet haben.

Das „alte“, größere Kria Vrisi scheint ein Geisterdorf zu sein. Die Häuser zwar in gutem Zustand, jedoch ist keine Menschenseele sichtbar. Möglicherweise sind die auch alle zur Arbeit, der Rest vielleicht im Haus beschäftigt. Wir nehmen also den Feldweg vor dem Dorfeingang, und schon geht’s bergan.
Bald lässt mir die Sicht von unten auf das felsige Massiv das Herz ganz weit aufgehen. Es gibt eine Postkarte, die ich auf Kreta erstanden hatte, von der wir glaubten, dass sie einen Teil des Kedros darstellt. Die ganze Zeit hatten wir gerätselt, um was für eine Schlucht es sich handeln könnte, die den Berg zerteilt, und hatten das Motiv daher zwischenzeitlich schon in die Weißen Berge verlegt. Doch nun, von nahem, kann man ganz klar erkennen, dass unsere erste Vermutung richtig war.

Der Kedros präsentiert sich schattenlos. Ein breiter und mitunter recht gerölliger Weg führt links der imposanten Schlucht im Zickzack-Kurs hinauf. Jedoch nicht ganz bis zur Spitze. Denn das letzte Stück scheint von unserem Standpunkt aus gesehen nur noch aus kargem, nacktem Fels zu bestehen, den man wahrscheinlich nur mit Kletterausrüstung bezwingen kann.

Bereits der Feldweg zum rot-gezackten Aufstieg ist für meine Verhältnisse und die wegen „Grippi“ angeschlagenen Bronchien etwas anstrengend. Doch so langsam läuft man sich ein.
Immer weiter geht es bergan. Der Weg ist im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend, daher schalte ich einige Gänge zurück und lege häufige Pausen ein. So gelingt es mir, die Landschaft in mich aufzunehmen. Aufgrund des sehr diesigen Wetters kann man alles, was weiter entfernt liegt, nur erahnen. Konturen verschmelzen. Jedoch ist Paximadi immerhin sichtbar, als Orientierungspunkt in der Milchsuppe. Mein Kopf fühlt sich in dieser feucht-heißen Diesigkeit ganz leer an. Schwere Gedanken wären auch viel zu anstrengend. Zur Zeit ist also nur das Naheliegende wirklich klar erkennbar.

Die gegenüberliegenden Berge, der Vouvála und daneben der Sidérotas. Wie der wohl zu seinem Namen gekommen ist? Ein eisenhaltiger Berg?
Um seine feiste Taille schmiegt sich das mittelbraune prächtige Band einer Schotterpiste, eine wunderschöne Farbe, wie sie wohl nur in der Natur vorkommt. Und dazu eine verwirrende Vielfalt fast parallel unter- und oberhalb dazu verlaufender Wege und Sträßchen in jedes entlegene Dorf.
Wunderbar erkennbar auch die mäandernde, asphaltierte Straßenführungen in der Senke, wie eine überdimensionale Carrera-Bahn, über die sich Spielzeugautos bewegen.
Kria Vrisi und Nea Kria Vrisi, erinnern mich von hier oben aus an 2 Campingplätze, 2 Ansammlungen von kreuz und quer aufgestellten größeren Wohnwagen.

Stetig geht es bergan, der Bewuchs auf dem steinigen Untergrund ist äußerst spärlich. Große Büschel harzigen Salbeis erblicke ich, und weiß, dass ich ihnen auf dem Rückweg nicht widerstehen werde.

Ein Gefühl von Wildnis macht sich breit. Keine anderen Touristen in Sicht, auch keine Kreter. Die kreisenden Raubvögel, fast die ganze Zeit über zu sehen, ihre perfekte und ästhetische Flughaltung. Immer näher komme ich ihnen, sie ziehen mich an wie ein Magnet. Oft bleibe ich stehen, um ihnen zuzusehen, wie elegant und mühelos sie durch die Luft schweben. Da erblicke ich eine Ziegenherde, zwei Adler ganz in der Nähe, über ihnen. Vielleicht verirrt sich ja mal eines der kleineren Zicklein aus der Herde heraus. Immer schön wachsam bleiben und weiter kreisen. Unzählige Mücken sind begierig auf das Salz auf meinen Armen nach diesem schweißtreibenden Aufstieg.

Einer der oberen Zickzack-Ecken unseres Weges führt noch mehr nach rechts, Richtung Schlucht, hinaus. Von hier aus, mit den Adlern schon fast auf gleicher Höhe, kann ich nun auch die Messara erahnen. Das Licht spiegelt sich in den Plastikhäusern wider.
Weiter möchte ich nicht mehr gehen, obwohl es noch möglich wäre.

Das Gefühl auf dem Kedros, auf einem rauen, nackten Berg inmitten einer schemenhaften Märchenwelt zu sein, die Ausblicke niemals klar, alle Konturen weiter weg nur verschwommen erahnbar. Auch das, was nah erkennbar ist, einzigartig berauschend schön, intensivste Gefühle von Freiheit. Keine störenden Geräusche. Hier oben, in dieser kargen Landschaft, ist man sich selbst und seinen Ursprüngen ganz nah, die schnörkellose Einfachheit des Seins, und die Freude darüber.

Der Weg hinab erscheint viel kürzer als bergan. Vielleicht sind wir ja gar nicht so hoch gestiegen. Schon bald sitzen wir sehr durstig und verschwitzt im Kafenion in Nea Kria Vrisi. Im alten Kria Vrisi hätte es gleich zwei Kafenia gegeben, doch wären sie zur frühnachmittäglichen Stunde auch geöffnet gewesen? Die gleiche Frau vom Morgen, die uns alle guten Ratschläge mitgegeben hatte, steht draußen mit sorgenvollem Gesicht. Ob wir Brände gesehen hätten? Es rieche nach Feuer. Sie hätten alle große Angst davor. Nein, haben wir nicht wahrgenommen. Erst später sollen wir vom Bus aus sehen, was die Feuer dieses Jahres in der Umgebung angerichtet haben.
Eine weitere, schon greise Frau befindet sich in diesem ganz alten, urigen Kafenion. Ein großer Raum, der Fußboden betoniert und die schiefen Wände weiß getüncht. Rechts neben der Eingangstür ist bereits ein großer Stapel Feuerholz aufgeschichtet. Ein größeres Loch in der Decke könnte für das Abzugsrohr vorgesehen sein, wenn der Ofen für den Winter in der Mitte des Raumes platziert wird. Im rückwärtigen Teil ein Tisch mit diversen gerahmten Fotos und einer kleinen „Theke“ samt Kühlschrank, den kleinen Fernseher nicht zu vergessen. Für die Gäste 3 Tischchen mit wenigen Stühlen. Alles sehr spartanisch anmutend, obwohl wir uns doch gar nicht auf dem Peloponnes befinden. Kühle Getränke in einem kühlen, zeitlosen Raum in Kria Vrisi, was wollen wir mehr? Ah ja, den Bus nach Agia Galini. Er kommt pünktlich.

Im Bus befinden sich noch 2 Kinder, die nach Saktouria wollen, obwohl dieser Bus da gar nicht hinsoll. Nun muss der Busfahrer aber doch den Umweg fahren, und schimpft die ganze Zeit wie ein Rohrspatz. Er scheint sich gar nicht mehr einzukriegen. Für uns bedeutet das noch ein Sahnehäubchen an Aussichten, unglaublich. Nicht nur, dass wir noch nach Saktouria fahren (wobei man ja schon fast in Agios Pavlos wäre!), wo der Bus ein abenteuerliches Wendemanöver vollführt.
Um sich ein wenig zu beruhigen ruft der Busfahrer einen jungen Mann herbei, der gerade des Weges daherkommt („Ela spo“) und befiehlt ihm, die auf der Straße herumliegenden größeren Steine wegzuräumen, weil man sich sonst die Reifen aufschlitzt. Der Mann nickt mit unbewegtem Gesichtsausdruck und geht an den Steinen vorbei. Soviel zur Autorität des Busfahrers. Zum Glück regt er sich nicht mehr auf, sondern schweigt. Weiter geht die Fahrt nach Melambes, mit sagenhaften Ausblicken in das Amaribecken, zwischen Psiloritis und Kedros. Dort möchte ich nun auch unbedingt mal hin. Auch hier wäre mit Ressentiments gegen uns Deutsche zu rechnen. Verständlicherweise. Für den Anfang würde vielleicht eine Busfahrt hindurch reichen, aber ich kenne mich, eine solche Fahrt wäre lediglich ein Appetitanreger.

Erschreckend die Bilder zwischen Melambes und Agia Galini. Die diesjährigen Feuer haben ganze Hügel verwüstet. Und unzählige alte Olivenbäume angesengt oder teilweise verbrannt. Viele sind auch bis auf einen schwarzen Stumpf verkohlt. Unglaublich die Tragweite, und nun verstehe ich auch die Furcht der Kafenion-Frau in Kria Vrisi.

Ach ja, dem Salbei auf dem Kedros konnte ich wirklich nicht widerstehen. Ein kretischer Freund sagte mir einmal, dass der Salbei, der kurz vor dem Herbstregen gepflückt würde, der beste sei, weil er sein ganzes Aroma entfalte. Darüber könnte man sich jetzt sicherlich streiten. Jedoch habe ich selten so intensiv duftendes Kraut geerntet, meine Hände rochen hinterher noch lange richtig harzig. Und erst mein Rucksack im Flugzeug! Wenn ich mir heute, wieder in Deutschland, eine Tasse des köstlichen Tees braue, tue ich es in der Erinnerung an dieses berauschende Wandererlebnis und in dem Bewusstsein, Salbeitee VOM KEDROS zu trinken. Es ist schon etwas ganz Besonderes!

Christina
Oktober 2003

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Thema Autor Datum
Wanderung im Kedros-Gebirge Oktober 2003 Christina 27.10.2003 19:17
Re: Wanderung im Kedros-Gebirge Oktober 2003 MartinPUC 28.10.2003 09:21
Re: Wanderung im Kedros-Gebirge Oktober 2003 Christina 28.10.2003 10:46
Re: Wanderung im Kedros-Gebirge Oktober 2003 lisi 29.10.2003 21:57

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