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Ouranopolis - oder: Mönche sind auch nur Menschen...

Von Petros Milatos

Wir saßen im Kafenion. Von unserem Tisch aus hatten wir einen guten Blick auf die Anlegestelle, von der aus mehrmals täglich Kaikis und kleine Fährboote den Personen- und Frachtverkehr zwischen der Mönchsrepublik und dem "Rest der Welt" aufrecht hielten.

Ouranopolis ist in der Tat so eine Art "Welt-Raum-Hafen. Man muss sich nur einmal vergegenwärtigen, dass jene Männer dort in ihren schwarzen Raum-anzügen eine Zeitreise hinter sich haben, wenn sie hier ankommen, eine Zeitreise von dreihundert Jahren in die Zukunft! Wo kann man heute noch so etwas erleben? Einige der Zeitreisenden wirken weltgewandt, bewegen sich sicher in der ungewohnten Umgebung, andere hingegen scheinen schon sehr lange nicht mehr in der modernen Welt gewesen zu sein, Sie benehmen sich wie Kinder, die in Zauberfees Wunderwelt wandeln.

So ein Kiosk hat eine unglaubliche Anziehungskraft auf Mönche. Scharenweise belagern sie die Süßigkeiten, Zeitschriften und anderen Auslagen. In diesem Wunderwürfel gibt es fast alles zu kaufen. Sein Stellenwert ist viel höher als in einem Land Mitteleuropas, wo es ja fast keine richtigen Kioske mehr gibt.

Der griechische "Periptero" ist Kommunikationszentrum, Telefonzelle, Nachrichtenbörse, Kummerkasten, Klatschkiste, Zigarettenladen, Imbissstube, Zeitungsstand, Minibar – und – wie wir neuerdings jetzt auch wussten – Poststation.

Einer der schwarzberockten Neuankömmlinge wollte sich ein Eis kaufen. Mit beredten Gesten deutete er auf die Abbildungen neben der Kühltruhe. Die Kioskfrau kam raus, öffnete die Truhe und zeugte dem Mönch die süßen Köstlichkeiten. Nach einigem Zögern entschied er sich für ein Waffeleis, schön bunt und poppig verpackt.

Die Frau verschwand wieder in ihrem Kiosk und der Mönch blieb mit seinem Eis davor stehen und bewunderte es von allen Seiten ausgiebig. Unschlüssig drehte er es hin und her, roch daran, zupfte am Papier, schien etwas zu suchen, wusste aber offensichtlich nicht weiter. Die sich erbarmende Kioskfrau erschien wieder, nahm dem Mönchlein das Eis aus der Hand, packte es im Handumdrehen aus und drückte dem verdutzten Klosterbruder die mundgerechte Tüte wieder in die Hand.

"So, jetzt kann’ste es essen!" schien ihre Gestik zu besagen.
Der ließ sich nicht zweimal bitten und stapfte selig knabbernd von dannen...

Ouranopolis ist nicht nur ein Fährhafen, es ist auch in bescheidenem Umfang ein Ort für Badeurlauber. Es gibt einen kleinen Kiesstrand, ein paar Hotels und einige Pensionen und Privatzimmer. Rings um den alten, gewaltigen Wehrturm an der Anlegestelle vermischt sich Strand -, Land -, und Klosterleben. Strandschönheiten flanieren in knappen Bikinis vorbei an Gruppen bärtiger Klosterbrüder. Urlaubsfreude und Ausgelassenheit auf der einen – Askese und Zucht auf der anderen Seite. Man könnte es auch etwas dramatischer ausdrücken und sagen, Sünde und Unschuld prallen aufeinander.

Wir fragten uns, wie das wohl ginge.
"Wie machen die das eigentlich?" fragte Claudi vieldeutig.
"Was meinst du?" fragte ich überflüssig zurück, wusste ich doch genau, was sie meinte.
"Na," meinte sie, deutlicher werdend, "wie halten die Brüder das aus? All das, dem sie durch ihr Gelübde entsagt haben, wird ihnen hier auf dem Präsentierteller serviert. Die Versuchung muss doch riesig sein, wenn man das werweißwielange nicht gesehen hat!"
Ich grübelte in meiner Kaffeetasse nach einer Antwort.

Über die Unbedachtheit halbnackter Touristen brauchte man nicht wieder zu diskutieren, aber wie reagierten die Mönche auf die Begegnung mit der Versuchung? Was ging in ihnen vor?

Es schien ja so, als ob sie die Herausforderung nicht annahmen, ja, sie gar nicht bemerken wollten, unsichtbare Scheuklappen hinderten ihre Blicke am Abirren. Aber sie mussten sie doch sehen! Es waren ja nicht nur einige wenige, nein, es waren Dutzende von Bikinesen, die zwischen Strand und Tavernen über den Platz spazierten.

"Es muss wohl für die so eine Art Prüfung bedeuten," sinnierte ich.
"Die Klosterväter sind sich der Herausforderung für ihre Schäflein sicher bewusst, aber sie entlassen sie wohl unter der Maßgabe strenger Selbstkontrolle. Vielleicht ist es so eine Art Test, inwieweit der einzelne Mönch der Sünde widerstehen kann, eine Art Fegefeuer sozusagen... "

Wir schenkten uns weitere Erklärungsversuche, bestellten noch einen Kaffee und betrachteten weiter dieses absonderliche Schauspiel des Aufeinandertreffens zweier so verschiedener Lebensweisen. Wie von unsichtbaren Mauern umgeben marschierten die Mönche im Schutz der Gruppe von der Fähre zum Bus oder umgekehrt. Unerschütterlich die einen, zaghaft die anderen, sich fest an ihren Rosenkranz klammernd. Welch ein Spektakel bot die Bühne dieses kleinen Hafens, diese Drehscheibe zwischen dem Gestern und dem Heute.

"Schau mal, der da!" sagte Claudi lachend und stupste mich an.
Sie deutete auf einen der neu angekommenen Brüder, der oberhalb des Stran-des stehengeblieben war und, scheinbar völlig selbstvergessen, hinter zwei pobackenschwingenden Badenixen herstarrte. Um seinen Zeigefinger wirbelte der Rosenkranz. Gott sei dank! Wir waren erleichtert. Mönche sind auch nur Menschen.

aus: Peer Millauer: "Wanderjahre mit Peregrin - Leben und Segeln in Griechenland, Tunesien und der Türkei", BoD Norderstedt, 4. Auflage 2008, S.164-166

Geschrieben 01.04.2009, Geändert 31.05.2009, 3046 x gelesen.

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Kommentare zu diesem Artikel

Kommentar von michapresente vom 18.01.2010 20:18:26

Hi Petros, denke Du meinst komboloi... aber es stimmt schon, die Beobachtung. Vor drei Jahren auch wg. der obligaten Bootsfahrt in Ouranopoli gewesen. Größtenteils in Gruppen auch ungefähr gleichaltriger - gemeinsam macht stark - werden neben dem Periptero auch diverse Geschäfte und - die es ja dort gibt dank Touristen- die Snackbuden besucht. Aber der Erzählung nach, dem Buchausriss, möcht man schon mal kurz Mönch sein. Der darf den Badenixen zuschauen, leicht versonnen natürlich und jeder hat Verständnis. Einem "normal" Gekleideten wird man jedoch jederzeit "unanständige" Gedanken unterstellen, beim Mönch ist´s halt mentale Fortbildung.... .


Kommentar von twiganauten vom 06.08.2009 13:16:50

Hallo Peer,
es fasziniert mich, wie du beobachtest und formulierst - wenn ich wieder eine fixe Adresse habe, werde ich dein Buch kaufen, doch die nächsten 2 Monate segeln wir noch in der Ägäis. Vor zwei Woche sind wir an Athos vorbeigesegelt, da hatten wir Zeit um zu beobachen und uns auch so unsere Gedanken zu machen.
Liebe Grüße aus Kea
Helga


Kommentar von Richi vom 01.07.2009 11:26:20

Hallo Peer,
tolle Geschichte! Kompliment!

Gruß
Richi