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Zu Besuch bei Sappho

Von Petros Milatos

Mit Lesbos lernten wir eine Insel kennen, die mit Recht zu einer der Schönsten in der Ägäis gezählt wird. Grün bewaldete Berge wechseln mit kargem Weideland, endlose Olivenhaine zwischen tief einschneidenden Buchten, die fast wie Binnenseen wirken, Steilküsten und Sandstrände - Lesbos besitzt eine unerwartete Landschaftsvielfalt.

Wir besuchten auf Lesbos zwei Häfen, die von total unterschiedlichem Charakter waren. Zuerst waren wir in Molivos. Der Ort ist ein nur für den Tourismus herausgeputztes Schatzkästlein und steht unter Denkmalschutz, hat jedoch jeglichen Bezug zu wirklich einheimischer Lebensart und -freude verloren. Wo es vor 20 Jahren noch Tavernen und Kafenions gab, steht heute ein Souvenirladen neben dem andern. Man bewegt sich in einer künstlichen Welt, geschaffen von zugereisten Juwelierhändlern, die alles aufgekauft und in ihrem Interesse vermarktet haben.

So schön das Städtchen auch anzusehen ist mit seinem musealen Touch, mit all den originalgetreu restaurierten Häuschen aus Naturstein – aber es scheint seine Seele verkauft zu haben. Ganz anders dagegen Plomari.Vom Äußeren her eher unscheinbar, ist dieser Ort ein Born griechischer Lebensfreude und Gastfreundschaft. Die vielen Kafenions rund um den zentralen Platz mit den großen Platanen sind rappelvoll, in den engen Gassen reihen sich die Fleisch-, Fisch- und Gemüseläden dicht aneinander, ihr Warenangebot ist bis auf die Mitte der Straße hinaus gestapelt. Die Auslagen der Geschäfte in Molivos sind eher spärlich, dafür aber exklu-siv und teuer.

Das Augenfälligste aber ist, dass es in Molivos keine Orte der Versammlung mehr gibt, keine Kafenions, wo Bürger noch aktiv Ortspolitik betreiben. Sie sind alle den Luxuscafés und Bistros gewichen, deren Preise kein normaler Einwohner von Molivos mehr bezahlen kann. Allenfalls trifft man sich noch auf ein paar Stühlen rund ums Periptero zum Ouzo oder Tavli, als Fremdkör-per im Touristenstrom, der vorbei fließt. Der Baum der Ursprünglichkeit ist in Molivos entwurzelt worden – obwohl man bestimmt das Gegenteil gewollt hat.

Eine Frau aus Griechenland ist eine "griechische" Frau.
Eine Frau aus der Türkei ist eine "türkische" Frau.
Eine Frau aus Lesbos ist eine... , tja, und schon hat man ein kleines semantisches Problem, oder?

Man kommt auf Lesbos nicht umhin, sich früher oder später einmal mit dem Namen der Insel und der daraus abgeleiteten Bedeutung im heutigen Sprachgebrauch zu beschäftigen. Der Begriff "lesbisch" stammt ja eindeutig aus der Ableitung des Inselnamens. Zurückzuführen ist er auf die berühmte Dichterin Sappho, die zu ihren Schülerinnen gleichgeschlechtliche Beziehungen gehabt haben soll.

Sappho, irgendwann zwischen 617 und 612 vor Christus geboren, leitete einen Kreis junger Mädchen, die sie bis zu deren Hochzeit auf ihre aristokra-tische Frauenrolle vorbereitete – eine Art Mädcheninternat für höhere Töchter also.

Solche gleichgeschlechtlichen Erziehungsheime waren damals nichts Außergewöhnliches und keine Seltenheit. Ein weiteres Beispiel hierfür ist Sparta, wo die Erziehung der Knaben zu Männern nach ganz strengen Methoden erfolgte, bei denen homosexuelle Beziehungen auch mit eingeschlossen waren. Sappho galt 1200 Jahre lang als die größte Dichterin der antiken hellenischen Welt. Dann, nach Einsetzen einer Kältewelle aus Bedenken und Scheinheiligkeit, waren es byzantinische Christen, die aus moralischen Gründen ihr Werk in einer Art "Büchersturm" verbrannt haben.

Ihr geniales Werk fiel so zum großen Teil einer Änderung moralischer Wertvorstellungen zum Opfer, die sehr zweifelhaft waren. Der antike griechische Brauch der Knaben- und Mädchenliebe hatte in der damaligen Kultur seinen festen Platz. Mit unserem Begriff von Homosexualität lässt sich der "sapphische Eros" nicht vorbehaltlos vereinbaren. Auch mit Heimlichkeiten oder gar Verbotenem hatte er wenig zu tun. Sappho sprach und schrieb offen über die gleichgeschlechtliche Liebe. Dass sie dies öffentlich tun konnte, beweist, dass die Homosexualität in der damaligen Gesellschaft akzeptiert wurde. Zwischen 560 und 570 vor Christus starb Sappho.

Dass sie sich aus verschmähter Liebe (zu einem Mann! ) entweder vom Fels-kap an der Südspitze von Lefkas oder vom Sappho-Felsen bei Skala Eresou stürzte, gilt als nicht bewiesen, passt aber ins Bild ihrer mystischen Gestalt - und trägt bei zum Tourismusgeschäft der beiden Orte. Auch heute noch gibt es eine ganze Reihe von Sappho-Anhängerinnen, die Sappho und der Liebe wegen nach Skala Eresou pilgern, um sich unter Gleichgesinnten der Huldigung ihres Idols hinzugeben. Sehr zum Unver-ständnis der einheimischen Bevölkerung allerdings, die, versehen mit christ-lich-orthodoxen Moralvorstellungen, nichts übrig haben für solche "lesbi-schen" Verhaltensweisen. Nirgendwo sonst tritt die gegensätzliche Interpretation dieses Begriffes deut-licher zu Tage als hier, an der Wiege des Wortes und seiner Urheberin.

aus: Peer Millauer: Wanderjahre mit Peregrin - Segeln und Leben in Griechenland, Tunesien und der Türkei, BoD-Verlag Norderstedt, 4. Auflage 2009, S.175/176

Geschrieben 23.03.2009, Geändert 23.03.2009, 3110 x gelesen.

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