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Der Friseur von Kokkari

Von Horst und Hilde

Als meine Frau und ich im Jahre 1986 zum ersten Mal nach Samos flogen und uns das Fischerdörfchen Kokkari als Urlaubsziel aussuchten, waren wir sofort in das kleine romantisch gelegene Fleckchen verliebt. In dem vom Meer geschützten Hafen lagen viele kleine Fischerboote und noch ein paar Segelschiffe. Idyllisch an den umliegenden Hängen schmiegten sich die ein- bis zweistöckigen kleinen Wohnhäuser, deren Besitzer ihre Zimmer an Fremde vermieteten. Etwas außerhalb am Kieselstrand des Ortes entlang befanden sich schon größere Hotels.

Wir haben zunächst das Dorfzentrum mit seinem Marktplatz und den vielen Gässchen erforscht. In einer Nebengasse, die vom Marktplatz fortführte, entdeckten wir einen Laden. Die Eingangstürtür stand weit offen. Auf einer blauen Tafel an der Hauswand stand in großen Buchstaben: Τσιγαρ&al pha;, Cigarettes, Rooms For Rent. Da wir beide Raucher waren, kam uns der kleine Laden gerade recht. Wir schauten neugierig hinein und erblickten einen älteren Mann, der uns händefuchtelnd erkennen ließ, dass wir doch hineinkommen sollten. Ein weiterer Mann saß auf einem Stuhl. Sein Gesicht war eingeseift. Erst jetzt erkannten wir, dass unser Winker Friseur war und dem Griechen gerade den Bart rasieren wollte.

Die Einrichtung des Raumes bestand aus einem mittelalterlichen stilvollen schwarzen Schrank, dessen Fächer mit wüst durcheinanderliegenden Zigaretten gefüllt war. Eine Eistruhe hatte ebenfalls einen ziemlich umfangreichen Platz eingenommen. Gegenüber auf einem Wandregal befand sich ein Telefon. Der Friseur versuchte uns wieder mit den Händen erklärend, dass wir nach Deutschland telefonieren könnten, nachdem er von uns erfuhr, dass wir aus Deutschland kommen. Doch wir wollten nur ein paar Schachteln Zigaretten. Wir zeigten mit 4 Fingern an, dass wir 4 Schachteln Karelia haben wollten. Aus dem Wust von Zigaretten hatte er mit sicherem Griff die gewünschte Marke herausgefischt. Plötzlich fing er an griechisch zu zählen. Wir sollten ihm nachsprechen: 1-2-3-4 also ενα, διο, τρεια, τεσσε&rh o;α. Immer wieder und immer wieder mussten wir die Zahlen auf Griechisch wiederholen. Derweil saß sein Friseurkunde, dessen Bart immer noch eingeseift war, seelenruhig auf seinem Stuhl und blickte aufmerksam durch den Spiegel zu uns hinüber.

Nach dem Bezahlen bedankten wir uns recht herzlich für die freundliche Bedienung. Im Laufe unseres dreiwöchigen Urlaubs haben wir ihn jeden Tag besucht. Ob wir nun Zigaretten kauften oder nach Deutschland telefonierten oder auch nur einen Gruß austauschten, immer hat er uns lächelnd aufgenommen. Seine Friseurkunden hatte er dabei links liegen bzw. sitzen lassen, denn außer uns gab es noch viele, die bei ihm einkauften oder telefonierten. Sicher hat so mancher Einheimischer seinen Haarschnitt oder die Bartrasur nach langer Aufenthaltsdauer erhalten. Im Laufe der Zeit hatte der Friseur uns mit viel Geduld das griechische Zählen beigebracht. Wir flogen nach Hause und konnten stolz unser Erlerntes an den Mann bringen.

Erst vier Jahre später waren wir wieder in Kokkari. Nachdem wir unser Gepäck in der Pension abgestellt hatten, war der erste Weg zu unserem Friseur. Er erkannte uns sofort. Es gab eine herzliche Umarmung. Mit den Fingern deutete er das griechische Zählen an. Natürlich kauften wir Zigaretten. Wir bestellten auch gleich auf Griechisch und zählten sogar bis zehn also δεκα. Da fing er auf einmal an elf, zwölf und weiter zu zählen... Wir aber lehnten dankend ab. Mittlerweile hatte er seinen Friseurberuf an den Nagel gehängt. An der Stelle stand jetzt ein Tisch mit ein paar Stühlen. Bei jeder sich uns bietenden Gelegenheit schauten wir in den Laden hinein. Meistens saß er dort mit seinem Freund und spielte Karten. Sie spielten das skatähnliche Spiel "66". Doch immer, wenn jemand kam, musste er ja die Kunden bedienen. Dabei schaute sein Mitspieler unverblümt in sein Blatt oder aber bediente die Farbe einfach nicht. Zum Ende des Spieles hatten sie nämlich vergessen, was sie am Anfang gespielt hatten. Da aber noch der große Spiegel an der Wand vorhanden war, konnte man auch Einblick in das Kartenblatt nehmen. Das war aber alles nebensächlich. Es war nur Zeitvertreib und Spaß an der Freude, da ja nicht um Geld gespielt wurde.

Von nun an haben wir Samos kein Jahr mehr ausgelassen. Immer im Frühjahr zur Blütezeit ist es Pflicht, die Insel und das kleine beschauliche Fischerdörfchen Kokkari zu besuchen und natürlich unseren Friseur.
Eines Tages war der Stuhl seines Mitspielers leer. Wir fragten nach ihm. Die Antwort war knapp aber deutlich: "Kaputt!". Das unterstrich er noch mit der entsprechenden Handbewegung quer am Hals entlang. Außerdem fiel uns sofort auf, dass der schöne alte Schrank aus Omas Zeiten ersetzt wurde durch gefächerte nüchterne Holzregale, in denen die Zigarettenstangen fein säuberlich und nach Sorten getrennt, aufgestapelt waren. Auch das Telefon war verschwunden. Viele besaßen zwischenzeitlich Handys, sodass mit Telefonieren kein Geschäft mehr zu machen war. Die Tochter hatte den Laden von Grund auf umgekrempelt. Damit hatte sie aber auch ein gewisses Flair begraben. Wie schade!

Ein weiteres Jahr verging. Unser alter Friseur blickte ganz traurig durch die Augen, weil seine geliebte Frau nach langer Krankheit gestorben war. Sie hatte oft im Laden zugebracht und ihrem Mann bei der Arbeit beobachtet. Hoffentlich wird er diesen Schicksalsschlag überwinden.

Wieder ein Jahr ist vergangen. Wir standen vor einer verschlossenen Ladentür. Der Laden war leergeräumt. Nur das blaue Schild hatte immer noch seinen Platz. Es gab keine Zigaretten mehr. Und das mit dem griechischen Zählen war auch vorbei. Plötzlich sahen wir ihn vor der Taverne am Marktplatz, wo er langsam seinen griechischen Kaffee schlürfte. Eine freudige Überraschung! Er erzählte uns in seiner typischen Art, dass er nunmehr in Rente gegangen sei und sich auf seine alten Tage ausruhen wolle. Das haben wir natürlich vollkommen verstanden. wir schenkten ihm ein paar Bilder von uns und ihm aus dem letzten Jahr.
Im Jahre 2008 konnten wir keinen Friseur mehr sehen, auch nicht vor der Taverne am Marktplatz. Wir haben erfahren, dass er nur noch bettlägerig sei und dazu noch dement. Ohne Beaufsichtigung und Pflege der Tochter geht es nicht mehr.

Der Friseur von Kokkari, der uns das griechische Zählen beibrachte, wird uns in ewiger Erinnerung bleiben. Doch wir meinen auch, dass ein Stück Kokkari damit verlorengegangen ist.

Geschrieben 23.01.2009, Geändert 02.02.2009, 3351 x gelesen.

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Kommentare zu diesem Artikel

Kommentar von 47karo vom 09.06.2009 18:31:21

Hallo Horst und Hilde,

hab jetzt auch euren Nachruf gelesen und durch die beiden Kommentare das Gefühl den Friseur kennen gelernt zu haben. Ich denke, das er jetzt an einem guten Platz ist.
Danke dafür
karo


Kommentar von rainerolymp vom 03.02.2009 12:25:56

Danke für die schöne Erzählung,
Gruß Rainer