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Karagiozis, ein griechischer Antiheld

Von awo

Die Namensähnlichkeit ist nicht zu verkennen: der griechische Karagiozis ist der hellenisierte türkische Karagöz. Zu letzterem möchte ich auf meinen Artikel "Über das Karaköz-Theater" verweisen: de.travello.com/tuerkei/artikel/101224-u eber-das-karagoez-theater

In der griechischen Alltagssprache kennzeichnet das Wort Karagiozis einen Clown, einen volkstümlichen Schelm oder eine Witzfigur. Sein Charakter hat verschiedene Seiten: Gauner und Antiheld, der Arbeit abgeneigt und immer für eine Feier zu haben, aber auch sympathisch und eine Identifikationsfigur. Eigentlich jedoch handelt es sich um eine Figur aus dem Schatten- beziehungsweise Puppentheater, die die Griechen von den Türken bereits in der Zeit des osmanischen Reiches übernommen haben.

Das Schatten- beziehungsweise Puppentheater

Wie im türkischen Karagöz-Theater bewegen sich die Figuren auch im griechischen Karagiozis-Theater hinter der von Lampen angestrahlten Leinwand als farbige Schatten. Der Puppenspieler steuert sie mit Hilfe von Stöcken, an denen sie befestigt sind. Mit großer Fingerfertigkeit dirigiert er bis zu drei Figuren und imitiert dazu die unterschiedlichen Stimmen.

Die Figur des Karagiozis wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Patras von Dimitrios Sardounis alias Mimaros hellenisiert, der als Gründer des modernen griechischen Schattentheaters gilt. Ein weiterer Hauptcharakter ist Chatziavatis (oft Hadjiavatis geschrieben), er entspricht dem türkischen Hacivat. Daneben gibt es in der griechischen Spielart wie auch im türkischen Karagöz-Theater weitere Charaktere, die sich aber stark unterscheiden.

Karagiozis

Karagiozis ist arm und bucklig, sein rechter Arm überlang, seine Kleider geflickt, er ist stets barfuß. Er ist ein Gauner, dessen Hauptinteressen Essen und Schlafen sind. Er ist sehr lebendig. Er wohnt mit seiner Familie in einer mitleiderweckenden Hütte in einer großen Stadt, gegenüber dem enormen Palast des osmanischen Paschas. Er hat keinen Beruf, aber er ist stets gewillt, sich mit allem zu beschäftigen. Dabei scheitert er ständig, kommt in Schwierigkeiten, wird am Ende ausgepeitscht oder geschlagen und kehrt schließlich in seine Hütte zurück, hungrig wie zuvor. Sein langer Arm kennzeichnet den Dieb. Er hat ein loses Mundwerk, so dass alle Welt über seiner kleinen Diebereien Bescheid weiß. Aber alle Kinder, die der Aufführung zusehen, lieben ihm. Sie stehen ihm bei, wenn er in Gefahr ist. Dann rufen sie: "Karagiozis paß auf!!!!"

Chatziavatis

Chatziavatis, sein türkischer Gegenspieler, ist immer levantinisch-osmanisch gekleidet. Manchmal wird er als ehrenhaft bezeichnet, manchmal als schlimmer Dieb. Er ist ein obrigkeitshöriger Charakter, der häufig in die Machenschaften des Karagiozis verwickelt wird. Oft wird Karagiozis von ihm informiert, manchmal machen sie Geschäfte miteinander, manchmal ist er das Opfer der Tricks von Karagiozis.

Interpretationen

Die Karagiozis-Stücke werden in zwei Kategorien unterteilt: die "heroischen Stücke" und die Lustspiele. Die heroischen Stücke beruhen auf der Tradition oder realen Ereignissen aus der Zeit der osmanischen Herrschaft oder anachronistischen Adaptionen anderer Legenden, wobei Karagiozis als Helfer oder Assistent eines bedeutenden Helden wie zum Beispiel Alexander den Großen dargestellt wird. In den Lustspielen versucht Karagiozis auf spitzbübische und plumpe Weise zu Geld zu kommen, um seine Familie zu ernähren.

Eine Interpretation besagt, dass Karagiozis einen klassischen neugriechischen Archetypen darstellt: den mit Füßen getretenen, in äußerster Kargheit lebenden Homo Hellenicus, von einem korrupten und statischen sozialem System dazu verdammt, auf den untersten Sprossen der Leiter zu verbleiben, der all seine Gewitztheit dazu aufbringen muss, dass das Leben weiter geht.

Natürlich ist Karagiozis auch ein Relikt aus der Zeit der osmanischen Besatzung und damit ein Symbol für den Widerstand gegen einen übermächtigen Gegner. So plump seine Versuche sich einen Vorteil zu verschaffen sind und so einfältig er auch wirken mag, so sehr liegen die Sympathien trotzdem bei ihm, wenn er versucht, sich gegen seinen moralischen Gegenspieler Hadjiavatis, den Prototypen des obrigkeitshörigen Stiefelleckers, und die Handlanger des Sultans durchzusetzen.

Entwicklung bis heute

Das Karagöz-Theater wurde in den 1880er Jahren hellenisiert, als die Geschichten und Abenteuer der gerade unabhängig gewordenen griechischen Gesellschaft angepasst wurden. Diese Phase dauerte bis etwa 1910.

Dann folgte die Blütezeit von 1915 bis 1950. Dies war eine Zeit von Kriegen und sozialer Unruhe. Karagiozis war dabei eine Inspiration für die Armen im Protest gegen die soziale Ungerechtigkeit. Karagiozis versuchte aber vergeblich, sein Schicksal zu ändern. Das Theater war sehr beliebt und die laute Stimme des Spielers war in den meisten Städten und Dörfern Griechenlands zu hören.

Ganze Generationen von griechischen Kindern wuchsen in dieser Zeit und auch danach noch mit Karagiozis und den anderen Charakteren dieses Theaterstoffes auf. Im Schulunterricht wurde jedes Schuljahr ein Stück behandelt. Die Popularität hat sich bis in die 80er Jahre des 20.Jahrhunderts gehalten, als es im griechischen Fernsehen noch wöchentlich Karagiozis-Sendungen gegeben hat.

Allerdings wirkte das traditionelle Karagiozis-Theater gegenüber den Möglichkeiten von Fernsehen und Kino allmählich etwas antiquiert. Die Fernseh-Shows waren moderner und pädagogisch aufbereitet. Sie behandelten Themen von der griechischen Mythologie bis zur Raumfahrt. Der Karagiozis-Stoff ist aber auch heute noch in Griechenland populär, wenn auch die Begeisterung seit der Zeit, als es regelmäßige Karagiozis-Sendungen im Fernsehen gab, zurückgegangen ist.

Tipps

Einen stimmungsmäßigen Eindruck vermittelt das Mitschnitt eines Liedes von Dionysis Savvopoulos, "San ton Karagkiozi" (Wie Karagiozis): www.youtube.com/watch?v=5asxyrhF6Uk

Internet-Seite (englisch) des Schattentheatermuseums von Maroussi (Vorort von Athen): www.karagiozismuseum.gr/en/index.htm



Geschrieben 11.10.2014, Geändert 11.10.2014, 3683 x gelesen.

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