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Ein Stück aus dem wirklichen Leben: Die Welt der Sophia in Kalamaki

Geschrieben am 10.12.2003 08:55:08

Von
MartinPUC
MartinPUC

1156 x gelesen
9 Antworten

Manchmal wünscht man sich schon eine merklich motiviertere Dauerkundschaft auf den In-greece.de-Foren. Ist doch immerhin schon fast Winter, eine besinnliche Zeit, Nachdenken drängt sich geradezu auf.
Haben denn so wenig Leute Ideen, einen etwas lebhafteren, angeregteren Austausch von GR-Erfahrungen in Gang zu halten?
Klar, harte Entscheidungen nach dem Studium der Veranstalterkataloge stehen an, bloß keine Experimente (!), bloß nicht das Falsche buchen - aber ein bisschen Geben statt nur Nehmen wär schon supertoll.

Nachdem es zurzeit wieder hauptsächlich um die königliche Gründung im NW der Insel geht, hier zur Abwechslung das (schon traditionelle) unvergleichliche Gegengewicht an der mittleren Südküste:


Sophia, die Köchin beim Hinkebein-Kostas in Kalamaki, am großen Knick Südkretas

Oder: Beim anderen Kostas, dem überlebenden
(geschr. Okt. 2003)

Wenigstens bis Mitte Oktober kommen treue Stammgäste vorbei, noch dazu nachdem der andere Kostas mit seinem Uraltkafenio, der Post- und Rentenzahlstelle oben in Pitsidia, nun mit etwa 92 „überraschend“ und zum großen Leidwesen seines örtlichen, regionalen und weltweit verstreuten Freundeskreises verstorben ist.
Wenn auch das letzte urige, weiß gekalkte Kafenion mitten an der Uferpromenade von Kalamáki mit seinem Tamariskenschmuck, seiner bescheiden dimensionierten Terrasse mit den 3, 4 Tischen und den etwas überflüssig auf der „Straße“ postierten zwei plastikartigen Alibisitz- und Speisegelegenheiten gelegentlich recht leer aussieht.

Gut, seinen Nachmittagsschlaf hält man hier schon, dann muss der durstige Gast aktiv werden, quer durch den Innenraun in den Hof schlürfen, vorbei an dem Tisch mit den Gemüseschüsseln, den Zwiebelkisten, Tomatenklumpen, anderen, teils abenteuerlich aussehenden und zufallsmäßig aufgehäuften Feldfrüchten, sich möglichst geräuschvoll geben, bis es aus einer der dunklen Höhlen links hinter der Küche mit den bereits köchelnden berühmten „Katzaróles“ (so nennen sie hier den Eintopf) etwa so tönt: „Manóli?“, „Jórgo?“ – „... élla!“ Dann entblättert sich eine Frau irgendwo in den Fünfzigern deckenmäßig und watschelt gar nicht mehr schlaftrunken durch die Tür.

Ein offenes Gesicht, erst fragend, dann gerne lächelnd, langes, gelocktes schwarzes Haar, feste Stimme, mollige Erscheinung, Lippenstift, positive Grundstimmung. Sophia, die liebenswerte Bulgarin aus einem Dorf weit weg von Kreta und Griechenland.

Schon hat man wieder am Tisch unter der Salz tropfenden großen Tamariske Platz genommen, da bringt sie, was gerade kalt ist, nicht etwa die bestellte Portokaláda, die nur ungekühlt erhältlich ist, sondern wohlmeinend dann lieber doch eine Lemonáda, schön kalt. Erst mit deutlichem Abstand folgt das erbetene große Glas Wasser in Form einer ganzen Plastikflasche.

Auch der Kostas ist nun aus seinem Bett gekrochen, nimmt wie immer, falls möglich, an dem Tisch draußen links neben der Tür Platz. In echt kretischer Tracht, ganz schwarz, mit Schweißtuch und herabhängenden Troddelchen, etwas vertikal zusammengestauchtes Gesicht, Schnauzer, ein deformiertes Bein, wie gewohnt. Nun taucht auch der andere im Bunde auf, der dritte, Jüngere - ob das wohl der Manolis ist?

Sie beginnen darüber fachzusimpeln, dass ich, in Wahrheit ganz schön erschöpft vom Stapfen durch den Sand des Kommo Beach, krank sein müsse, wegen der Limo und einer Mineralwasserflasche auf dem Tisch. Das zumindest verstehe ich noch.

Sophia fährt, wie aus dem Nichts, wo kommt das nur her?, großes Essen hinter meinem Rücken auf. Ständig hat Kostas ein neues Kommando für die Untergebene auf Lager: „Sophía – fére-mou eliés!“, „ ... to skóti tora!“, „ ... to krasí!“ .... (Sophia, bring mir Oliven! - jetzt die Leber! - den Wein!). Ich frage mich, warum er nicht korrekt „sikóti“ sagt.
Hinter mir Mantschen, Schmausgeräusche, eine lebhafte Unterhaltung über neue, gute Weinfässer. Da werd ich hellhörig, ich, der Wien- und Burgenlandfahrer mit teils profunderen Heidi-Schröck-, Wieninger-, Triebaumer- (beide), Feiler-Artinger-, Schandl- etc. –Kenntnissen ((Aber auch beim Hermann mit seiner windschiefen Buschenschank aus den Anfängen der Neuzeit hinter der katholischen Ruster Kirche fühl ich mich sauwohl)). Eben guter Rebensaft. ((Übrigens: In Sivas im „Váfis“ gibt’s sogar einen ganz guten roten Biowein für nur € 7,50 die Flasche!))

Man probiert gerade einen ganz besonders guten Trunk, wie ich heraushöre. Aus Lóchria/Lochriá, zu Füßen des Psiloritis, wo auch Kostas beheimatet ist. Mmmmmmm. Geifer, Geifer.

Jetzt lachen sie alle zusammen recht viel, scherzen, auch die gute Sophia, die nun gekost, irgendetwas mit „-atschi“ genannt wird. Vielleicht „Sophikátschi“? Oder doch „Sophiátschi“? Na, dann werden hoffentlich ihre dauernden Magenschmerzen etwas vergehen. Gastritis, sagt sie.

Ich beginne die zweite Stunde meiner Meeresbetrachtung, durch andere Tamarisken jenseits der völlig unbefahrenen, nur ab und an begangenen Uferstrasse hindurch. Leise tröpfelt das Nadelsalz von den Zweigen auf mich herunter. Kaum spürbar. Passanten, ab und zu Mittouristen mit Kleinkindern, neugierige Blicke. Nur selten wird Kostas als Bekannter gegrüßt oder ruft einen Gruß hinaus. Nebenan, mit größerem Abstand zu Kostas Etablissement, gelangweilte Blicke von der Nachbarbarterrasse. Links und rechts am Strand Badende, Sonnenbadende, auf den kostenlos zur Verfügung gestellten Liegen (Ja, das ist hier in Kalamaki eben so! – Soll die Nutzer an die jeweilige Taverne binden), unter Schirmen, oder duschend.

Ganz unvermittelt steht ein kleiner Teller mit Eliés bei mir. Sophia meint, von Kostas, die hätte er nicht mehr essen können. Ich ziere mich nicht, greife zu, auch etwas Brot ist dabei. Schon finden sich zwei bettelnde Katzen ein, eine schmutzig-weiße hüpft auf das Mäuerchen und blickt mir in die Augen. Aber ich bin nicht „Kleines“ wie bei Bogart! Geb keine Oliven für Katzen her – ist auch besser so.

Soeben ist ein weiterer kleiner Teller bei mir angelangt, mit einem Lächeln und auffordernder Stimme serviert: „Skóti!“. Ah, Leber. Kostas kommentiert, als ich mich umdrehe, und erst jetzt das oben etwas scharzgebrannte wahre Lebergebirge wahrnehme, das auf dem Nebentisch thront: „Alles gutt ist von Ziege Lääber!“. Das kenn ich schon von Lykkos her, der zweiten Bucht westlich von Loutró, wo mir Theo auch einmal ein sehr gut schmeckendes Leber-Hauptgericht anbot, frisch hinter dem Haus geschlachtetes Tier. Es hat auch keinen Sinn, Kostas gegenüber das hochgriechische „Sykóti“ anzuführen, er schüttelt nur verwirrt den Kopf: „skotí!“, „skóti! Naja, diese Dialekte. Jetzt bin ich noch mehr durcheinander, wegen der beiden Betonungsalternativen. Ein Wahnsinn.

Wirklich gut, das Stückchen, macht Appetit auf mehr. Ich bestelle, wie üblich „ena tétarto krasí“, ausnahmsweise „kókkino“. – „Tétarto?“ (Was, ein Viertel?) Wie üblich ungläubiges Staunen. Sophia bringt grippehustend gemächlichen Schrittes ein Literglasgefäß mit gut einem halben Liter, eher Richtung dreiviertel. Ich wehre mich symbolisch, wissend, dass hier längst jeder Widerstand zwecklos ist, spätestens seit letztem Oktober. Das würde gefährlich, wenn ich hier auf Dauer bliebe. Das ist jetzt zwar so der übliche Erzählstil, Leute, aber glaubt mir, O-Ton, nichts hinzugefügt!

Plötzlich steht ein kleines Glas mit dem weißen Zaubertrank aus Kostas’ Heimatdorf vor mir. „Probieren!“. Ach, Frau Schröck, Herr Triebaumer, sen. und jun., ihr Superstars unter den Winzern, DER Trunk hätte Ihnen auch gemundet! Endlich wieder einmal ein zumindest halbstarker, eher leichterer, bestimmt nicht ZU starker, nach der Konkurrenz aus Jerez de la Frontera riechender und schmeckender Krasí-chíma, leicht öliger Bauernwein der allerfeinsten Sorte, wie ich ihn in diesem Urlaub nirgends sonst vorgesetzt bekam. Siebeck hat gesprochen!
Mein Großgefäß mit einer deutlich schlechteren roten Version ist nun eigentlich wertlos geworden. Hätt ich wenigstens einen Weißen bestellt!
Hätte aber auch nichts genützt, denn Kostas meint, diesen extraguten Wein habe er nur zu Hause, sodass ich auch keine anderthalb Liter davon mitnehmen kann. War vielleicht der in den neuen Fässern. Und es ist bereits mein vorletzter Tag auf der Insel. Kostas fährt den kommenden Tag leider auch nicht Wein holen. Schade, schade.

Frustriert bestelle ich schließlich eine Portion Stockfisch, der frittiert, sehr sättigend, auf den Tisch kommt. Da ich abends noch ein Essen vor mir habe, nehme ich die Panade feinsäuberlich ab und lasse mir den Rest schmecken. Die beiden Katzen kommen voll zu ihrem Mahl. Schade, dass es keine für mich passende „Katzaróla“ (hat nichts mit "Katze" zu tun!) gab. Hatte mich so auf den scharf gewürzten bulgarischen Eintopf gefreut.

Szenenwechsel. Selbes Bühnenbild. Wieder früher Nachmittag. Personen aber lediglich Sophía, meine Wandergefährtin und ich. Kostas ruht noch.
Mit vereinten Kräften gelingt eine Unterhaltung zu dritt auf Griechisch mit der bulgarischen Meisterköchin.

Seit langem habe sie Gastritis. Eine liebe deutsche Stammgästin habe ihr sogar ein homöopathisches Mittel mitgebracht, das sie uns gleich zeigt. Nichts Gefährliches, jedenfalls. Ein großes Problem für sie sei die nun seit einem Monat anhaltende Grippe, die sie wegen der vielen Arbeit nicht richtig auskurieren könne. Nur etwa 4 bis 5 Stunden Schlaf täglich seien möglich, wenn es in der Saison mal mehr abendliche Gäste gebe.
Die vielen Fotos drinnen an den Wänden sprechen Bände. Hübsche junge Frauen mit Kostas. Kostas in Herrenpose auf einem Fels. Auch Zeichnungen viertklassiger Künstler, immer der Götterkostas als Motiv. Er braucht diese Anerkennung bestimmt, denn für den Gehbehinderten ist das Leben auf Kreta sicherlich nicht immer leicht gewesen.

Sie komme aus einem armen bulgarischen Dorf. Dort würden die Männer nur trinken, hätten sonst nichts zu tun, keiner habe mehr Geld. Das meiste ihres sauer verdienten Geldes schicke sie deshalb ihren Verwandten in Bulgarien. Ihre erwachsenen Kinder – einer habe selbst 8 Kinder - so bettelarm, dass sie noch nicht mal nach Griechenland herüberkommen können.
150 Euro erhalte sie als Monatslohn. 5 Euro pro Tag (!) bei einer 7-Tage-Arbeitswoche. Selbst für kretische-Gastarbeitsverhältnisse ein ausgesprochener Hungerlohn! Außer dieser Gegend bis Timbáki und Míres habe sie nichts von Kreta kennen gelernt. Sie koche, mache alle Hausarbeiten in der Taverne und den beiden Gästezimmern, bleibe auch im Winter hier in Kalamáki wohnen, weil jemand nach den Schafen sehen müsse. Kostas sei den Winter über in Lóchria.

Ich zücke mein Portemonnaie und spende wieder ein bisschen Papiergeld. Schon hat Kostas Lunte gerochen und kommt zur Tür heraus.

MartinPUC, Oktober 2003

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Thema Autor Datum
Ein Stück aus dem wirklichen Leben: Die Welt der Sophia in Kalamaki MartinPUC 10.12.2003 08:55
Re: Ein Stück aus dem wirklichen Leben: Die Welt der Sophia in Kalamaki Katerina 10.12.2003 11:14
Re: Wann war ich dort? MinásPUC 10.12.2003 11:44
Re: Ein Stück aus dem wirklichen Leben: Die Welt der Sophia in Kalamaki Steffy 11.12.2003 10:36
Re: Ein Stück aus dem wirklichen Leben: Die Welt der Sophia in Kalamaki Katerina 11.12.2003 11:46
Re: König Georg MartinPUC 11.12.2003 13:07
Re: König Georg tinospeter 11.12.2003 13:58
Re: König Georg Steffy 11.12.2003 14:16
Re: Mirtos MartinPUC 11.12.2003 14:41
Re: König Georg Marianne aus K. 11.12.2003 18:56

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