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Der westliche Hafen von Piräus - ein notdürftiges Flüchtlingscamp

Geschrieben am 09.04.2016 14:27:34

Von
martinpuc
martinpuc

1572 x gelesen
6 Antworten

Am Nachmittag des 1. April (alles andere als ein Scherz) bekam ich einen recht deutlichen Einblick in das Flüchtlingselend in Teilen Athens und im Hafen von Piräus.

Schon auf der Busfahrt vom Flughafen Richtung Piräus fielen mir die vielen Zelte und Schlafnischen um die noch immer bestehenden Gebäude des alten Inlandsflughafens Ellinikó auf. Unmengen Flüchtlinge dort – ich nehme an, man hatte auch die Hallen für sie geöffnet. Das Radar auf dem Betonturm im Hintergrund dreht sich immer noch.
Weiterfahrt im Bus: Immer wieder mal in kleinen Grünanlagen oder unter Straßenbrücken sieht man Lagerstätten von Vertriebenen, etwa in der Gegend des Fußballstadions von Fáliro, aber vergleichsweise wenige.

Im eigentlichen Hafengebiet von Piräus sah es dann viel schlimmer aus:

Ein kleines Kontingent, wahrscheinlich vermischt mit griechischen Obdachlosen hatte sich ohne die üblichen Kuppelzelte auf den Mauersimsen und im Eingangsbereich des zugesperrten ehemaligen 24-Std.-Cafés hinter dem schön restaurierten Molen-Hochhaus bei der Platía Karaïskáki so gut es ging eingerichtet. Das aber war nur eine Art kleiner Vorhut.

Bei einem mehrere Stunden langen Erkundungsgang bis hinter zum Gate E1, wo die „Elefthérios Venizélos“ von ANEK vertäut lag, wurde ich schließlich voll mit der Asylantenflut konfrontiert.
Es begann ganz massiv ab den Ticketverkaufsbuden der ANEK bei den Kreta-Fähren gleich südlich des Tors E3.
Zahllose Kuppelzelte, eng aneinandergestellt, säumten die Hafenstraße vor den großen Fähren. Hinter den Zeltbewohnern der Lärm einer großen Umgehungsstraße, 1 m vor ihnen die dröhnend vorbeirauschenden LKWs. Ein Leben und Nächtigen auf dem Asphalt im Großstadtgetöse.
Alle 3 Passagierterminals und große Flächen um sie herum bis ganz hinten bei E1 und sämtliche überdachten Sitzbereiche für Fährenpassagiere waren von Flüchtlingen engstens belegt. Das heißt die Zelte standen nicht nur drumherum, sondern waren auch zwischen die Sitzreihen reingequetscht, man hatte so ein weiteres Dach über dem Kopf und konnte auch die Sitzflächen als Liege- und Ablageplätze nutzen. In den Terminals wurden wohl Duschen sowie Essen bereitgestellt, vor und neben ihnen waren jeweils Dutzende von Toilettenboxen aufgestellt. Je weiter westlich ich kam, desto mehr große Zeltstädte (alles kleine Kuppelzelte, die es z.B. an einer Ecke von Piräus zu kaufen gab) offenbarten sich mir auf den Parkflächen und unter den randlichen Hochstraßen.
Die wartenden Schiffspassagiere sitzen jetzt auf dem Teer der Straße oder auf den Einfassungen von randlichen Pflanzenkästen – so ist das nun.
In einigen alten Gebäuden des sackgassenartigen E2-Bereichs wurden massenhaft Kleidungsstücke und Decken ausgegeben – Kleiderhaufen und irgendwelche Wolldecken lagen wild in der Gegend herum. Immer wieder mal eine Frau oder ein Paar mit einem neuen, noch frisch verpackten Kinder-Buggy oder sonstigen gespendeten Objekten auf der Schulter trottet an mir vorbei. Flanierende, bereits abgestumpfte Einheimische, Linienbusse und die Hafenzubringerbusse. Einige offizielle Gebäude so etwas wie bewacht, ab und zu Polizei, einmal ein Fernsehteam. An einem Stück rostigen Zauns zwei oder drei hilflos hingepinnte Spruchbänder (die sehen wir dann immer im Fernsehen): Nicht die Flüchtlinge seien im Unrecht, sondern die Kriegstreiber und das widerspenstige Europa.
Unter den grauen Flüchtlingsmassen „weiße Engel“ mit grüngelben Signalwesten, so manche skandinavisch oder deutsch oder wenigstens „westlich“ aussehende Frau unter den Helferinnen mit abgeklärtem Lächeln, sie haben ihre Bestimmung in diesem Leben endlich gefunden.
Irgendwo ein staubiger Platz mit notdürftig zusammengezimmerten Fußballtoren, das Spiel der Jugendlichen voll im Gange. Einige gehen kostenlose Getränke holen, bringen sie her.
Anderswo kappen Asylanten die wenigen Sträucher und Bäume, bedecken ihre selbst erstellten Planenunterkünfte mit dem Gezweig.
Dazwischen die Trockendocks der kleinen Reparaturwerft, ein alter Dampfer drin („Saos …“ oder so) – freitagnachmittags wird nicht mehr viel gearbeitet.

Man hat den Eindruck, die Stadt hat dieses alternative Flüchtlingsdasein längst in sich integriert, nimmt es gar nicht mehr mehr so groß wahr. Aber weit weg vom eigentlichen Stadtleben ist es angesiedelt, zumindest in seiner Masse.
Der Mann hinter der Theke in meinem Lieblings-Hafenkafenío „Foúrni Ikarías“ in der Mini-Passage hinter der Bushaltestelle (auch des X96, vom Airport her kommend) kocht und schneidet recht ungerührt weiter seine herrlichen Mezédes für so wenig Geld. „Flüchtlinge?“ – „Ich weiß da nichts, da kenn ich mich überhaupt nicht aus!“
Selbst in meiner Stammpension nur 150 m von den Kykladenfähren entfernt haben sie zwei Zimmer für Flüchtlinge reserviert. „Kalá pedhiá aftí!“, sieht mich Christina, die Tochter des Besitzers, strahlend an. Ich erwidere nur, das seien eben die Reicheren unter den Fliehenden, die könnten sich auch hier noch ein Zimmer leisten.

Nach dem großen Hafenspaziergang ist mir irgendwie schlecht. Ist was andereres, ganz „live“, anders als übers Fernsehen.

Freuen wir uns, dass wir auf der begünstigten Seite des Lebens stehen.

Gruß
Martin

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Thema Autor Datum
Der westliche Hafen von Piräus - ein notdürftiges Flüchtlingscamp martinpuc 09.04.2016 14:27
Re: Der westliche Hafen von Piräus - ein notdürftiges Flüchtlingscamp Richi 10.04.2016 15:57
Re: Der westliche Hafen von Piräus - ein notdürftiges Flüchtlingscamp Fini-Fan 10.04.2016 18:45
Re: Der westliche Hafen von Piräus - er war ein notdürftiges Flüchtlingscamp martinpuc 15.04.2016 01:14
Re: Der westliche Hafen von Piräus - er war ein notdürftiges Flüchtlingscamp briam 15.04.2016 13:28
Re: Der westliche Hafen von Piräus - noch immer ein notdürftiges Flüchtlingscamp martinpuc 15.04.2016 14:22
Re: Der westliche Hafen von Piräus - noch immer ein notdürftiges Flüchtlingscamp Katerina 18.04.2016 11:25

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