Blues

"The thrill is gone", knödelt B.B. King aus den Boxen. Finikas hat den Blues an diesem Nachmittag. Nicht nur deshalb ist es eine seltsame Stimmung in der ältesten Strandtaverne Koufonissis. Schwedische Urlauber - zu dieser Jahreszeit so präsent wie Feta in Hellas - fragen nach. Wie das Ergebnis wohl sein wird. Besorgt, fast vorsichtig.

Und je länger einer der Wirts-Söhne antwortet, desto mehr merkt der Zuhörer, dass es da nicht nur um die eigentliche Frage des Referendums geht. Es gebe da einen Geheimbericht, den "Wikileaks" und der "Guardian" veröffentlicht hätten. "Den kenne ich nicht", antwortet der Schwede. "Das sei ja das Problem, dass den kaum einer kennt", entgegnet der Sohn und klärt auf: Dass der IWF, Merkel und Co. beschlossen hätten, Griechenland bis 2034 unter sich aufzuteilen...

Mehr habe ich akustisch nicht verstehen können, starre auf mein Strand-Feierabend-Fix und denke an die "in-greece"-Aktivisten: Systempresse halt. Unglaublich, was man glauben soll. Und was man gar nicht glauben mag. Und wenn es die Wahrheit ist? Kann nicht sein. Oder? Quatsch! Aber wer weiß...

Jorgos wechselt den Interpreten am Notebook. Jetzt ist John Lee Hooker "In the Mood". Wieder Blues. Anna, die Kassiererin, ist sich sicher: Heute werde ganz Griechenland "Oxi" sagen. Ich weiche aus, sage nur, dass ich hoffe, dass ich für Griechenland hoffe. Und dass es wieder aufwärts geht. Floskeln halt. Ich bin schließlich Tourist. Da ist Zurückhaltung sowieso immer besser - und jetzt scheint sie mehr als angebracht zu sein. Denn Anna ist in Fahrt. "Wir haben getanzt, als wir alle Europa waren. Aber jetzt haben wir nichts mehr zu verlieren. Leute, die im Müll nach Essen suchen. Das ist wie 1945 in Europa."

Ich weiche wieder aus. "Ja... das sei alles sehr kompliziert..." Und dann überkommt mich dieses Gefühl, das so viele in meinem Land in solchen Situationen haben: Versuch einer Richtigstellung, weil man glaubt, dass sein Gegenüber glaubt, dass man anders ist, als man ist. Ich bin ja schließlich nicht "DER" Deutsche! Also ich schon mal gar nicht! "Ich habe nicht Merkel gewählt", fange ich an, "so wie viele Griechen auch nicht Tsipras gewählt haben..." Und es gebe in Deutschland auch viele Leute, die Merkels Politik kritisieren...
Janis Joplin fängt jetzt an zu kreischen. Anna lächelt. Mal wieder hat man in der Taverne den gemeinsamen Nenner gefunden: Alles auf die Politiker schieben. Der Strandtag ist jetzt eh zu Ende.