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Amorgos wiederentdeckt

Von Xristo

Pfingstmontag 16.Mai - Ich habe schlecht geschlafen. Schon um 2:00 Uhr war die Nacht im tiefen Sinne vorbei. Ich bin sehr aufgeregt und voller Erwartung. Pünktlich um 5:00 Uhr steht Reisefreund Klaus gerüstet vor der Tür. Die wochentags mörderische A2 ist fast leer. Nur einige polnische Pkw sind unterwegs. Derart entspannt stehen wir schon um 5:45 Uhr mit unseren 8 kg Handgepäck am Durchleuchtungsgerät.

Es hat wirklich geklappt mit der Gepäckreduzierung! 8 kg zeigt die Waage - und niemand interessiert sich dafür am Check-in in Hannover. Nur der Käse für Loni muss vorgezeigt und gescannt werden. Sprengstoff wird er allerdings erst werden, wenn er noch länger warm bleibt.
Umsonst das sorgfältige Abwägen, was mitnehmen? Das Weglassen all der Dinge, die man unter Umständen gebrauchen könnte, hat enorm viel Gewicht gespart. Das Absägen der Zahnbürste hatte eher symbolischen Charakter. Einschlägige Reiseforen empfehlen den Gebrauch eines Luggage suit! Ein Mantel, in dessen Taschen man alles für eine Reise unterbringt. Ich habe mich jedoch für meinen 1,5 kg-Rucksack entschieden.
Die Bordkarten auf dem Smartphone ersparen Zeit am Check-in. Zeit sparen ist allerdings zwecklos angesichts der Zeit, die wir ab jetzt untätig in und auf unseren diversen Stationen und manchmal harten Sitzgelegenheiten verbringen werden. Der Suisse-Flug nach Zürich ist noch die geringsten Übung des Zeitverbringens. Schon etwas nerviger die zweieinhalb Stunden von Zürich nach Athen. Das übliche Lufthansa-Mini-Menü ist auf ein Produkt der Suisse Bakery reduziert, ein Wasser, ein trockenes Schokoladenbrötchen. Freundliche Dreingabe von Suisse-Chocolate.

Der Flug über das Wolkenmeer, über die Alpen, über den Balkan ist ohne optische Reize, erst der Flug über der Ägäis mit Blick auf die Chalkidike, Andros und Euböa heizt die Emotionen an. Landung in Athen. Ich spüre meine Gesäßknochen nicht mehr, nun aber eine deutliche Entspannung - kein Warten am Kofferband!
Der Bus X96 nach Piräus fährt uns gerade vor der Nase weg. Also wieder Zeit auf einer harten Bank bei angenehmer Temperatur von circa 25°. Auch die Sitze im Bus - Fahrt über Vári und Koropí in eineinhalb Stunden bis Piräus - drücken aufs Gesäß. Liegt es am Altherren-Körper?
Der Bus ist voll, es ist heiß, da zugempfindliche Reisende die Fenster schließen. Leute beobachten. Der gegenübersitzenden, eingenickten jungen Frau läuft Sabber in leichtem Faden aus leicht geöffnetem Mund. Eine junge Frau sitzt im Gang halb gequetscht auf irgend einem Vorsprung und liest im ebook. Eine alte Dame am Fenster rechts vor uns starrt vor sich hin. Flugpersonal mit Pilotenbrillen quatscht unermüdlich, wenn nicht gerade Wichtiges auf dem Smartphone gecheckt werden muss. Auffällig wenige Touristen. Ich nehme nur ein junges Pärchen in der letzten Bank war, dass ständig mit den Füßen ihre Koffer vorm Herumwirbeln festhalten muss. Der Bus hält anders als in früheren Jahren an vielen Haltestellen und leert sich allmählich, bis in Piräus nur noch wenige wanderbeschuhte und rucksackbelastete Touristen aussteigen. Wir sind früh auf der BlueStar "Paros", können einen schönen Sitzplatz am Heck belegen.

Um 17:30 läuft die "Paros" endlich aus. Die Abfahrt kündigt sich durch das Gewummere der Maschinen vibrierend an. Vor uns liegen 8 Stunden Seefahrt, 8 nervige Stunden in den Abend, in die undurchdrigliche Dunkelheit jenseits der hellst erleuchteten Reeling. Es wird eine Weile dauern, bis ich runterkomme auf den Urlaubsmodus. Die lange Etappe bis Paros zieht sich. Das Schiff ist voll, d.h. viel Palaver um uns herum, ständig donnert die Tür zum Salon. Gesprächslärm um uns herum. Wer nicht redet und gestikuliert mit langen roten Fingernägeln, telefoniert endlos. Immer nur sitzen, keine Möglichkeit, sich einmal hinzulegen.
Von unserem Logenplatz am Heck erleben wir den Sonnenuntergang über Kithnos.
Páros, Náxos, Donoússa, Aigiáli, die folgenden immer kürzeren Etappen scheinen sich immer länger zu dehnen. Die Entladung der Riesenlaster dauert, in Naxos sind es 15, wegen des Fährenstreiks in der letzten Woche haben sich die Sattelschlepper in Piräus angestaut. Am liebsten wäre ich um 01:00 in Donoussa ausgestiegen. Aus dieser Warte habe ich den Hafen noch nie erlebt.
Erst um 2:00 legen wir verspätet und völlig übermüdet in Ormos Aigiális an. Im Dunkel am Kai erwartet uns Thassia, die Hausmutter von "Fanis Rooms", die uns den kurzen Weg über die Strandstraße zu unserem Quartier führt. Ich rieche und höre das Meer. Ich bekomme eine leise Ahnung, was mich im Morgenlicht erwartet.

Dienstag - und so ist es auch! Die Tür öffnen - Blick auf die Ägäis! Ein kurzer Plattenweg, über die Strandstraße, über den schmalen Sandstrand - eintauchen in das schon behaglich warme Wasser. Glücksmomente! Am Strand ist eine Yoga- Gruppe in die Übung versenkt, wie ich sie mit Monika auf Langeoog vor zwei Wochen selbst erfahren haben. Nicht unähnlich üblichen Gymnastikübungen, dehnen strecken, verweilen. Die Zimmer mit kleiner Terrasse zu ebener Erde sind einfach, es gibt alles was man braucht. Das Bad ist so platzsparend, dass ich mir auf dem Klo sitzend die Zähne putzen kann. Der Kunststoffduschvorhang schmiegt sich sanft an die nasse Haut!

Der erste Erkundungsgang in den kleinen geschlossenen Ort überrascht. Eine schöne gemütliche "Shoppingmeile", angenehm fürs Auge. Im Andenken-Laden von Jannis fallen mir die runden Flicken-Teppiche ins Auge, die im Winter von einer alten Frau in Langada genäht werden. Im Kaufrausch erstehe ich zwei Stück, Klaus arbeitet Wunschliste seiner Gattin mit diversen Kleinodien aus Schneckenhausdeckeln ab. Dazu erwerbe ich noch je ein Mitbringsel für Monika und Catharina. Das mühsam reduzierte Gepäckvolumen wird somit in Minutenschnelle auf das normale Niveau angehoben.
Wir gehen auf der Straße hinauf nach Langada. Den Einstieg in den Fußweg finden wir erst nach etwa 2 km. Dann aber geht es auf dem alten gepflasterten Eselsweg hinauf in diesen schönen kleinen Bergort, 3 km oberhalb der Küste.

Die Sonne brennt. Langada - ein typischer Kykladenort mit engen Gassen, weißen Häusern und einer gemütlichen Platia zum Ausruhen und einem gepflegten Mittags-Bier in der kleinen Taverne Limani, serviert von einer zahnlosen Jaja, die wohl den Mittagsservice übernehmen musste. Stille, eine Frau döst vor ihrem Laden, das Restaurant gegenüber ist verlassen, ein Kleinlaster erzwingt unter Mitnahme eines Mäuerchens die Einfahrt in eine Seitengasse.
Jannis vom Schnick-Schnack-Laden hat uns ein gutes Fischrestaurant, "Limani", empfohlen. Gleich um die Ecke, alles sehr sauber, neue Stühle und Tische, grau lackiert., sehr einladend, nur leider ist der Fußweg ansteigend. Fisch satt mit Fawa, Choriatiki und einem milden Retzina. Red Snapper pur. Aber leider sitzen die 9 Stunden auf der "Paros" in den Knochen - jetzt ab ins Bett.

Mittwoch - Eine erholsame Nacht. Badehose an und ins Wasser - erträglich warm. Die Lebensgeister erwachen. Wir frühstücken im "Armorgis" an der kurzen Kafenion-Zeile, wo sich die unterschiedlichen Kafenions den Hang hinauftreppen, Blick auf eine kleine "Kunst"Mühle und das Inselchen Nikouria. Chrissi heißt unsere Chefin, die ein tolles Frühstück mit Niveau serviert, die Löffel stecken in einem Glas. Es gibt Sets aus recyceltem Papier, darauf stehen erstaunlich schnell unsere Teller mit Eiern und Speck, Omelette für Klaus. Der Kaffee in doppelwandigen Gläsern. Blicken aufs Meer, sehen im Dunst Keros am Horizont. Liegt es an den vielen Franzosen, die hier für Stil und Qualität gesorgt haben? Wir mieten für 25 € einen Fiat Panda. Fahren durch die unglaublich karge und gebirgige Landschaft 15 km nach Chora. Gegen diese raue Landschaft ist Naxos beinahe lieblich.

Chora haben wir 1973 fast menschenleer erlebt. Damals gab es kein Kafenion, keine Läden und keine Straße. Und heute? Lebendig, ein Kreisverkehr, Läden, Tankstellen Gewerbegebiet. Wir halten uns nicht lange auf. Fahren hinunter zum Parkplatz vor dem Kloster Chosoviotissa. Der steile Treppenweg hinauf zu diesem außergewöhnlichen Bauwerk, wie ein Schwalbennest an den Steilhang gebaut, ist unverändert wie damals. Wir sind spät dran, um 13:00 Uhr wird geschlossen! Vielleicht sind es nur 4-5 m Breite, auf der einen Seite der nackte Fels auf der anderen dicke weiße Mauern, Raum für Raum über einander gestapelt, immer wieder eine neue Treppe. Hinauf zur kleinen Kapelle, davor eine Terrasse. Der Blick nach unten zum weißen Felsensaum, hinauf zu der überhängenden Felswand, an der das Gebäude klebt, vermittelt mir das Gefühl eines Freeklimbers. Baukunst! Im Salon wird uns Gliko und Rakomelo serviert. Der bärtige Abt Spiridon gesellt sich zu uns. Wir kommen Griechisch-holprig ins Gespräch. Seit 1971 ist er hier im Kloster. Ich muss ihm damals 1973 begegnet sein. Aber vielleicht war er gerade in den kleinen schmalen Feldchen unterhalb des Klosters beschäftigt.

Nach dieser mentalen Erneuerung fahren wir hinunter nach Katapola. Ich erkenne den Hafenort nicht wieder. Doch finde ich die Bäckerei wieder, vor der ich in 2000 die Abfahrt der Scopi völlig übermüdet erwartete vor meiner ersten Fahrt nach Donoússa. Doch wie hat sich alles verändert. Der Bäcker ist nun ein Kafenion mit üblichen Speisen und Snackangebot. Ich bin ja auch nicht mehr der Damalige. Französische Segler landen bei starkem Wind an. Die richtige Ausgangsposition zu finden, scheint ein seglerisches Highlight zu sein. Viele Male kreist der Einhandsegler und her, bis er dann genau am Nachbarboot, auch aus Frankreich, anlegen kann. Andere hantieren mit den Tauen, so dass Utz graue Haare bekommen hätte. Soweit wir das unfachmännisch beurteilen können. Katapola ist abgehakt.

Nächster und letzter Programmpunkt auf dieser Fahrt ist Minoa, die alte Siedlung im Rücken eines herausragenden Felsberges, hervorragend geschützt vor den begehrlichen Späherblicken der Piraten. Unglaublich, was die Menschen hier vor 3.000 Jahren an monolithischem Gestein auf diesen Berg geschafft, aufgetürmt und verarbeitet haben. Welche gewaltigen Kräfte haben das sorgfältig gefügte Mauerwerk der Burg wieder zerstört? Ein Ort stiller Verlassenheit. Das Schloss am Zauntor verrostet. Verlassen sogar von den Archäologen. Reste von Keramik Scherben liegen noch sauber ausgebreitet auf Tischen unter verwitterten Kalami- Dächern. Hier ist lange nicht mehr geforscht worden. Als habe man es aufgegeben, dem Trümmerberg weitere Geheimnisse zu entlocken.

Xristo 2016

Geschrieben 18.03.2018, Geändert 19.03.2018, 2913 x gelesen.

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Kommentare zu diesem Artikel

Kommentar von kokkinos vrachos vom 24.07.2022 08:59:15

"Fünf griechische Inseln – Amorgos, Kimolos, Kythira, Sikinos und Tinos – zählen zu den „Sieben am stärksten gefährdeten Kulturerbestätten Europas“ für 2021. Eine entsprechende Liste gab vor kurzem der Denkmalschutz-Verbund Europa Nostra bekannt."

www.griechenland.net/nachrichten/chronik /29064-europa-nostra-windkraftanlagen-ge f%C3%A4hrden-charakter-von-%C3%A4g%C3%A4 is-inseln

vg aus Hamburg, kv


Kommentar von Schalimara vom 26.03.2018 11:45:42

Ein schöner Bericht. Ich bin in Gedanken gerne mit Dir gereiset :-) Wir hatten im kürzeren Vergleich von 2011 und 2015 schon viele Veränderungen festgestellt. Wir bevorzugen mittlerweile auch Aegiali und Langada.


Kommentar von kaihannover vom 23.03.2018 18:55:25

wunderschöner artikel
bekomme sehnsucht!
am 9.5. geht es los
aber mit stop-over naxos für 2d