Reiseziel auswählen




Reiseziel-Sponsoren Reiseziel-Sponsor werden

Lakkí war Portolago

Von awo

Das Städtchen Lakkí gerecht zu beurteilen, ist eine schwierige Sache. In deutschen Reiseführern wird es oft als touristisch uninteressant und untypisch, ja "ungriechisch" beschrieben.

Das Städtchen sei von italienischen Stadtplanern am Reissbrett geplant worden. Es sei ohne Leben. Die Strassen seien überdimensioniert. Die Fassaden monoton. Darin wiederhole sich eine bereits in der Antike gemachte Erfahrung. Die Römer hätten geordnete Städte mit einer klaren Struktur errichtet. Die Griechen dagegen hätten bereits damals das Chaotische, Ungeordnete geliebt.

Und in der Tat: in Lakkí ist wenig los. Nachmittags im Oktober ist alles geschlossen. Nur der Freisitz an der Uferpromenade, der die chinesische Fahne gehisst hat, ist geöffnet. Ο Κινέζος - "Der Chinese" heißt das Lokal.

Vielleicht aber ist die Erklärung in den Reiseführern der falsche Ansatz. Der Mangel an Lebendigkeit ist vielleicht einfach darauf zurückzuführen, dass Lakkí viel zu wenige Einwohner hat. Lakkí allein soll für 30.000 Einwohner konzipiert worden sein. Bei der Volkszählung 1991 wurden auf der gesamten Insel Leros nur 7.953 Einwohner gezählt.

Eine wohl geordnete, aber leere Stadt ist sicherlich nicht das, was "der Griechenland-Tourist" zu finden hofft. Insofern mag Lakkí touristisch uninteressant sein. Für den, der die Spuren der Geschichte zu lesen und der gute Architektur zu erkennen vermag, ist Lakkí aber keineswegs uninteressant.

A.K. Antoniadis nennt Lakkí in einem griechischen Text auf der Internet-Seite (www.akx.gr/20-07.asp) ein weitgehend unbekanntes und ignoriertes Bespiel früher moderner Architektur. Als größeres städtebauliches Ensemble sei es gleichrangig mit der Weissenhof-Siedlung in Stuttgart. Obwohl die Namen der Architekten größtenteils unbekannt sind, stünden sie in einer Reihe mit Gropius und Le Corbusier.

Antoniadis schreibt in diesem Artikel weiter: "Als die Italiener abgezogen waren, wurden ihre Hinterlassenschaften mit dem Faschismus gleichgesetzt. Der internationale Stil, den die Italiener auf Leros verwendet hatten, wurde als "Architektur der Italiener" angesehen, das heißt faschistische Architektur, und als Architektur der Gewaltherrscher verurteilt. In Wahrheit aber handelt es sich nicht um faschistische Architektur, sondern um die avantgardistische Architektur des 20. Jahrhunderts, derer sich die Faschisten bedienten und die dem Volk als ihre Architektur erschienen. Ich glaube also, dass Lakkí ignoriert, nicht veröffentlicht und vernachlässigt worden ist, weil es mit der Befreiung in den Zusammenhang der Verurteilung des Faschismus eingeordnet wurde und nicht in den seiner historischen Herkunft von der avantgardistischen und demokratischen Architektursprache, zu der es gehörte." Ein anderer, italienischer Text nennt Lakkí den Höhepunkt der italienischen Architektur auf den Dodekanes. Der Dodekanes war von 1913 bis 1943 eine italienische "Übersee-Besitzung". Anfangs bauten die Italiener auf den Inseln größere Einzelgebäude, meistens für Ämter, im orientalisierenden Stil oder mit Einsprengseln unterschiedlicher historischer Stile. Lakkí dagegen, erst ab 1932 entstanden, stelle ohne Zweifel die interessanteste städtebauliche Erfahrung dar, "die vom faschistsichen Regime auf dem Dodekanes geschaffen wurde: außergewöhnliches Beispiel einer urbanen Siedlung, gänzlich neu konzipiert, beerbt es den Kanon des kubistischen und Art Decó-geprägten Expressionismus und des Rationalismus. Der Symbolismus der Formen spiegelt sich mit beispielhafter Eindringlichkeit in den prägenden Gebäuden von Portolago: der Palast der Kommunalverwaltung, der schwärmerische Marktturm, das Kinotheater, das Hotel Roma, die Kirche des Hl. Franziskus und das Krankenhaus sind les architectures parlantes der kolonialen italienischen Modernität." (R. Forte in einer Rezension eines Buches von Vassilis Colonas auf www.ragionpolitica.it)

Die Italiener nannten Lakkí Portolago, von Porto Lakkí, Hafen Lakkí. In der "Ta Nea" vom 26.08.2005 wurde es so beschrieben:"Der größte natürliche Hafen des östlichen Mittelmeers liegt an einem Golf, der einst ein Sumpf war (Lakkos). In der Zeit ihrer Herrschaft haben die Italiener hier einen Stützpunkt für die Marine und für Wasserflugzeuge errichtet, und haben, wohl um das Wasser zu absorbieren, auf der Insel Eukalyptusbäume gepflanzt. In Lakkí unternahmen sie es, ein bauliches Ensemble im "Internationalen Stil" zu erschaffen - eine avantgardistische Architektur quasi aus dem Nichts, die von einigen auch als eine bedeutende Ausprägung von Art Deco in Griechenland angesehen wird. Die heutige Gestalt begann Lakkí ab 1932 anzunehmen, als die Häuser, die komfortablen Straßen und der Hafen gebaut wurden. Der Markt wurde durch einen Uhrturm unterteilt, und weiter sind das Zollamt, die katholische Kirche des Heiligen Nikolaus, die heute orthodox ist, das Haus der Hafenverwaltung, das Hotel "Leros" (es hieß "Roma") und das Kinotheater zu nennen, in dem die erste Filmvorführungsmaschine in Griechenland betrieben wurde!"

Der Ort, an dem heute wenig Leben ist, galt früher als das "Malta der Ägäis": "Auf dem Höhepunkt ihrer Macht hatten die Italiener den Porto Lakkí in eine Marinebasis verwandelt, in eine Seestation von höchster militärischer Bedeutung für die gesamte Ägäis; und sie überzogen die ganze Insel mit einem guten Straßennetz. Hier in Lakkí hatten sie Anlagen für Schiffsreparaturen, Tanks, Lager, einen Flughafen und Telegrafenstationen mit hoher Leistung errichtet. Die älteren Einwohner können sich noch an das ständige Kommen und Gehen der italienischen Unterwasserboote, der Torpedoboote, der Zerstörer und der Wasserflugzeuge erinnern." (Eine deutsche Übersetzung des Textes von Jannis P. Gikas befindet sich in dem Buch von Nikos Thanos /Hrsg., Wohin ich auch reise, Romiosini-Verlag 1998)

Diese Beschreibung zielt auf die damalige Situation in der weiten Bucht von Lakkí. Erkundet man dagegen heute auf einer ausgedehnten Wanderung die verstreut an Bucht liegenden ehemaligen Militäreinrichtugen, so sind sie kaum noch als solche zu erkennen. Inzwischen Ruinen, verrichten sie letzte Dienste als Rinder-und Schafsställe. Sic transit gloria mundi !

Aber auch in Lakkí zerfallen die Häuser, die von den Architekturhistorikern so hoch gelobt werden. Nur bei wenigen sind Sanierungsaktivitäten zu erkennen. Sicherlich ist es schwierig, auf einer Insel mit so wenig Einwohnern Nutzungen zu finden, die eine Investition lohnend erscheinen lassen. Leros befindet sich ganz am Rand der Europäischen Union. Der Tourismus ist auf Leros bisher kaum entwickelt. Vielleicht aber läßt sich der Hafen als ein attraktives Ziel für Segler entwickeln, deren Revier nicht nur in Griechenland, sondern auch der Türkei liegt. Dann vielleicht hätten auch die zerfallenden Häuser ein Chance, saniert zu werden.

Infos

Lakkí ist 4,5 km von Agía Marina, wo die meisten Schiffe anlegen, beziehungsweise 3,5 km von Platanos entfernt. Auf der Strecke verkehrt auch der Inselbus.

Link

Informationen über Leros, auch auf deutsch

Geschrieben 06.12.2005, Geändert 06.12.2005, 2180 x gelesen.

Was möchtest du?

Kommentare zu diesem Artikel

Bisher gibt es noch keine Kommentare.