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Oinoussai - von reichen Reedern regiert

Von Petros Milatos

Wir waren auf Oinoussai, einer kleinen, aber ziemlich eigenartigen Insel im Nordosten von Chios.

Mandraki ist ein kleiner, bestens geschützter Naturhafen. Drei vorgelagerte Inseln, die sich fast berühren, bilden einen natürlichen Wellenbrecher, in dessen Schutz sich die Hafenlagune mit dem Fähranleger, dem Fischerhafen und dem kleinen Jachtkai befindet.

Als wir beim Einlaufen das äußere Kap der drei Inseln rundeten, fiel uns die dort kauernde, bronzene Meerjungfrau auf, die in ihrer linken Hand ein Segelschiff hält. Sie ist bekannt als Nixe von Oinoussai und wird als Schutzpatronin der griechischen Seefahrer verehrt. Ihre aus Holz geschnitzten Schwestern zieren den Bug vieler Fischerboote. Da ihr Haupt von Schlangen umwunden ist, ist sie eigentlich eine "Gorgone", aber aufgrund ihres Fischschwanzes ist sie auch eine typische Nixe, und in dieser besonderen Kombination stellt sie die griechische Variante aller sonst üblichen Seejungfrauen dar. Ihre Bronzestatue blieb nicht das einzige Standbild, dem wir auf der Insel begegneten. Schon auf unserem ersten Erkundungsgang entdeckten wir, dass der Hafen geradezu wimmelte von Denkmälern, Gedenktafeln, Büsten und Statuen, und das Auffällige war, dass an jedem dieser Exponate eine Tafel mit dem Namen des Spenders prangte.

Dabei bemerkten wir, dass sich drei Namen in unregelmäßiger Reihenfolge wiederholten: Lemós, Patéras und Pontikós. Zunächst waren wir der Annahme, dass wir uns an einer Art Gedenkstätte befänden, bzw. in einem Hafen, der eine solche darstellen sollte. Als wir weitergingen zum Ort über dem Hafen am Hang, hörten wir auf, an jedem dieser gemeißelten oder gemalten Namensschildern stehen zu bleiben. Alles war geputzt, aufgeräumt und arrangiert wie in einem Freilichtmuseum.

Am Kirchplatz angekommen war uns klar, dass der ganze Ort, ja wahrscheinlich sogar die ganze Insel von diesem Dreigestirn beherrscht werden musste. Alles hier, Straßen, Plätze, Schule, Kirche, öffentliche Gebäude, Tavernen, ja sogar die Polizeistation waren immer von einem dieser Potentaten gestiftet, gespendet, gegeben oder zumindest gesponsert worden. Welche Machtfülle, welche Geldmenge musste hinter so etwas stecken?

Auf den Straßen waren nur wenige Leute unterwegs. Die wenigen, die wir trafen, wiesen sich durch ihre Uniform entweder als Matrosen oder Kadetten der ansässigen Seefahrtsschule (Lemós) aus, oder waren Soldaten der Kaserne. (Pontikós)

Wirkliche Einwohner bekamen wir so gut wie gar nicht zu Gesicht! Die Atmosphäre war ganz anders als in den Häfen die wir kannten. Irgendwie viel steriler. Wir kamen uns vor, wie in einem Dornröschenschloss. Neugierig geworden, suchten und fanden wir auch bald die Erklärung für dieses Phänomen.
Im Hafen gab es ein ziemlich neu aussehendes Gebäude, das sich durch eine Marmortafel als Seefahrtsmuseum zu erkennen gab. (Lemós) Es war das einzige Gebäude der Insel, welches mit Tourismus ewas zu tun hatte. An der Kasse gab es in verschiedenen Sprachen Informationbroschüren über das Museum, die Insel und ihre Geschichte, und daraus erfuhren wir dann auch die Hintergründe. Die drei schon erwähnten Namen gehören zu Reederfamilien, die hier auf Oinoussai, (sprich: I – nú – sseh) beheimatet sind. Kóstas Lemós ist einer der reichsten Reeder überhaupt. Sein Vermögen wird auf über 5 Milliarden Dollar geschätzt, selbst Onassis konnte ihm mit seinen 2 Milliarden nicht das Wasser reichen. Patéras und Pontikós stehen in der Rangfolge der Reichsten knapp hinter Lemós.

Die komplette Insel ist Privatbesitz dieser drei mächtigen Familien. Ebenso stehen so gut wie alle Inselbewohner in ihren Diensten als Gärtner, Fahrer, Zimmermädchen, oder was sonst auch immer. Die drei Reederclans bestehen aus insgesamt 60 Familien, die miteinander durch geschickte Heiratspolitik verbunden sind. Diese "taktischen" Hochzeiten haben auch die Verbindungen zu anderen Reederfamilien und deren Inseln geschaffen, so z. Bsp. Nach Kefalonia, Syros, Andros und Chios.

Im Gegensatz zur skandalumwitterten Onassisfamilie leben die Lemós völlig zurückgezogen in ihrem Schweizer Domizil Lausanne, von wo aus sie in aller Stille, und sehr effektiv, die Geschäfte ihres weltweiten Wirtschaftsimperiums leiten. Die Geschichte der drei Familiennamen lässt sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Die Vorfahren der Lemós, Patéras und Pontikós waren Ziegenhirten und bauten Tabak und Wein an (Oinoussai heißt übersetzt "Weinstadt“).Während des Massakers, das die Türken 1822 auf Chios anrichteten, flohen die Oinoussaier, sie kamen aber 5 Jahre später wieder zurück und begannen fortan mit der Handelsschifffahrt, die schon bald florierte. Bis ins Jahr 1924 kreuzten zahlreiche Windjammer aus Oinoussai die Meere, bevor diese dann nach und nach durch Dampfschiffe ersetzt und abgelöst wurden.

Im 2. Weltkrieg wurden die drei Clans von einem herben Schicksalsschlag getroffen, von dem sich andere nicht mehr erholt hätten: Sie verloren ihre gesamte Flotte, immerhin insgesamt 65 Schiffe! Doch das von ihnen bewiesene Durchhaltevermögen spricht für sich. Mit nur 14 abgehalfterten Schiffen, von den USA erworben, machten sie einen neuen Anfang und starteten in eine neue und äußerst erfolgreiche Zukunft.

In dem schon erwähnten Schifffahrtsmuseum wird der Werdegang der Reederfamilien anhand eindrucksvoller Schiffsmodelle nachgestellt. Für uns war es einer der interessantesten Museumsbesuche überhaupt. Zu den besonderen Sehenswürdigkeiten gehören aus winzigen Knochen und Knochenteilen hergestellte Schiffsmodellen alter Windjammer, die von französischen Häftlingen in englischen Gefängnissen Ausgangs des 18 Jahrhunderts angefertigt worden waren. Allesamt wunderschöne, originalgetreue Exemplare in verschiedenen Größenmaßstäben, und mit einer bemerkenswerten Liebe zum Detail. Wer jemals die Gelegenheit dazu hat, sollte sich dem Besuch dieses kleinen, aber feinen Museums nicht entgehen lassen. Jetzt, da wir einen Blick hinter die historischen Kulissen dieser Insel geworfen hatten, erschien uns die Insel nicht mehr so fremd wie am Anfang. Nun waren gewisse Dinge nicht mehr merkwürdig, sondern eher passend, ja sogar logisch. Den größten Teil des Jahres sind die Reeder abwesend, doch ihr ungeheurer Reichtum, verbunden mit ihrem Inselstolz und ihrer Heimatliebe, lassen diese Dornröschenatmosphäre entstehen, erklären den märchenhaften Schlummerzustand der Insel. Dazu passte dann auch unser Besuch auf dem Friedhofshügel, wo die Vorfahren der Clans begraben liegen. Normale Maßstäbe, was Grabstellen angeht, auch solche von "reicheren" Familien, kann man hier getrost vergessen. Was wir zuerst für die Friedhofskapelle hielten, war das Mausoleum einer Lemósfamilie. Es schien so ein gewisser interfamiliärer Wettstreit zu bestehen, wer das größte, schönste und teuerste Grabdenkmal besaß. Der Clanchef der Lemósfamilie hatte natürlich die beste Stelle für sich reserviert. Dieser Krösus hatte sich schon zu Lebzeiten eine Nachbildung der Akropolis mit vergoldeten Kapitellen und Sockeln aus weißem, poliertem Marmor als letzte Ruhestätte errichten lassen. Sprachlos standen wir vor diesem Denkmal, spürten diese ungeheure Sehnsucht nach Unvergänglichkeit, die sich jedoch auch ein Lemós trotz allen Reichtums nicht kaufen kann - die Wurzeln der Zypressen begannen schon den ein oder anderen Sockel zu unterwandern...

aus: Peer Millauer: Wanderjahre mit Peregrin - Segeln und Leben in Griechenland, Tunesien und der Türkei, BoD-Verlag Norderstedt, 4. Auflage 2009, S.178 - 180

Geschrieben 23.03.2009, Geändert 23.03.2009, 2075 x gelesen.

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