Reiseziel auswählen



Reiseziel-Sponsoren Reiseziel-Sponsor werden

Astypalea im Juni 2007 - Entdeckung einer Insel

Von Xristo

Die Schiffstickets für Hin- und Rückfahrt nach Astypalea habe ich in der Tasche. Ich schwinge mich auf zu einer nächtlichen Entdeckungsreise. Es ist eine ungewöhnliche Zeit, von Donoussa abzureisen zu diesem, mir unbekanntem, Ziel. Kein Reiseführer, keine Karte zur Hand, 0:30 Uhr mitten in der Nacht. Völlig unvoreingenommen. Donoussa schläft bereits.

Die BlueStar Naxos kommt pünktlich. Die Decks sind leer. Ein merkwürdiges Gefühl, abzureisen und in 2 Tagen wieder anzukommen. 01:30 Uhr Egiali. 3:00 Uhr Astypalea. Statt der erwarteten Ankunft in Pera Gialo (Chora) legt die Blue Star Naxos im kleinen Hafen Agios Andreas an.

In der Dunkelheit ist kein Ort auszumachen. Zum Glück steht ein Taxi bereit, um mich und zwei andere verlorene Gestalten die 7 km zur Chora durch die Dunkelheit zu fahren. Ich steige wie die Mitreisenden im Hotel Kalos ab. Am Morgen blicke ich aus dem Fenster über die Bucht Pera Gialo auf das venezianische Kastro und die 7 Mühlen. Vor mir dieser wolkenverhangene Ausblick, hinter mir das Zimmer, in dem die Lämpchen irgendwo im Raum verteilt sind, nur nicht am Bett. Wenn ich die Rückseite das Hotels an der Straße bei Licht gesehen hätte, wäre ich aus dem Taxi nicht ausgestiegen. Nach der kurzen Nacht für 15 € verlasse ich dieses Vorstadtchaos.

Erste Klärung der Desorientierung erfahre ich im einzigen Kafenion in Sichtweite des Anlegers für die Kalymnosschiffe: eine Karte von Astypalea. Jetzt kann ich mich im Ägäisuniversum einordnen. Aber 2 Tage hier? Bei diesem verhangenen Himmel? Der etwas angelaufene Glanz des Paradieses von Donoussa beginnt wieder zu strahlen. Warum habe ich mir das angetan?

Wie schnell man sich bei Tageslicht zurechtfindet. Das Kastro, mächtig über der Stadt thronend, ist der dominierende Orientierungspunkt, um die steilen Treppengassen hinauf zur zentralen Mühlenplatia zu finden. Hier zweigt die Straße nach Livadi ab. Zu Fuß sind es etwa 20 Minuten. Die einzelnen Regentröpfchen werden zu Tropfen. Gut, dass ich meinen Minischirm im Exkursionsgepäck verstaut hatte. Der dunkle Steinstrand färbt sich durch die Nässe noch dunkler. Hier fehlt die Sonne. Die Studios sind noch geschlossen. Kein Tourist weit und breit. Die Saison scheint noch fern. Es wird gebaut und geweißelt. Die Einheimischen sind noch unter sich.

Astypalea, die Schmetterlingsinsel, hat nach diesen ersten Eindrücken nicht die Leichtigkeit eines Flügelinsekts. Nicht mehr ganz Kykladen, noch nicht ganz Dodekanes. Karg, gebirgig, die Flanken der Berge sind lediglich von einem gleichmäßig graugrünen Schimmer überzogen. Keine Mäuerchen zur Gliederung, der Küstensaum nicht rötlich-weiß, wie auf den marmornen Kykladen, sondern schwarz und schroff. Ist das bereits der wesentliche Unterschied zwischen Dodekanes und Kykladen?

Es regnet sich ein. Habe ein angenehmes Hotel Astynea an der Paralia gefunden. 20 € jia nichta, mit Blick auf das Kastro und die südlich vorgelagerten felsigen Inselchen. Schnell mit dem Regenschirm zum kleinen Estiatorion Aitherio gegenüber, mit grauem Mobiliar und weißen Tischdecken. Zum Brot (auch dunkles) gibt es Olivenpaste, dann Ziege in Zitronensauce. Ein Lichtblick im Regengrau.

Nach dem Mittagsnachholschläfchen veränderte Welt. Die Sonne scheint. Ich quäle mich hinauf zum mächtigen Kastro, das über der weißen Stadt thront. Die Menschen hier scheinen besonders oft Anlaß gehabt zu haben, Gott zu danken, indem sie eine Kapelle bauten - bis zu 6 in einer Reihe, gegenüber noch einmal 3, von ursprünglicher, auf alten Bildern abgebildeten Bebauung ist ansonsten wenig zu sehen. Ab und an ein altes dodekanesisches Haus mit flachem Zeltdach. Weit entfernt von der kubischen Kykladenarchitektur. Das meiste ist erst in den letzten 100 Jahren entstanden. Inzwischen herrscht die "Tisch-auf-Tisch" Bauweise vor. Nur das weiß erinnert an die Kykladen. Die Ringmauern der Festung sind von Schutt angefüllt - nur Steine mit Erde. Beim Erdbeben von 1956 ist die ganze innere "zivile" Bebauung wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Das erklärt die Steine, wo aber kommt die Erde her?

Meine Gedanken kreisen um die Abfahrt am Donnerstag um 5:15 Uhr. Freue mich auf das Frühstück und das Bad am hellen Sandstrand von Stavros. Da der Hafen ca. 6 km entfernt ist, muss ein Taxi organisiert werden. Ich hoffe auf einen Taxifahrer, der nachts um 4 aufsteht, um einen Verrückten zu fahren. Beim Aufwachen habe ich die Idee: Ich miete ein Auto, dass ich am Hafen stehen lassen kann. Dadurch bin ich unabhängig von anderer Leute Schlafbedürfnis. Für nur 30 €. Allein die Taxifahrt hätte 10 € gekostet.

Exo Nissi. Ich fahre mit dem kleinen Hyundai, um den Westflügel des Schmetterlings zu umrunden. Schon oberhalb von Livadi hört die Asphaltstraße auf. Vor mir liegt eine Schotterstraße und eine unglaublich raue Landschaft. Berge ohne jeglichen Baumbewuchs und ohne Mäuerchen türmen sich auf bis zum 482 m hohen Bardia. Eine Landschaft wie ein zusammengeknülltes Bettlaken. Die Wolken ziehen langsam darüber hinweg und werfen ein flüchtendes Schattenbild auf die Täler und Höhen. Ab und an wird ein kleines Kirchlein oder die Oleanderkollonien entlang der Täler hell erleuchtet. Die Straße Richtung Panormos an der Nord-West Spitze wird immer holpriger. Immer wieder rumpelt es unter dem Wagenboden. An einem Ziegenzaun lasse ich den Wagen stehen und gehe eine halbe Stunde weiter, ohne jedoch die verzweigte Bucht, die unterhalb vor mir liegt, zu erreichen. Ich kehre um. Ein Abstecher weist die Richtung "Kastro". Aber ich werde enttäuscht. Nur noch ein wirrer Steinhaufen am Hang oberhalb eines (trockenen) Wasserfalls lässt ahnen, dass hier einmal etwas Gebautes existiert haben muss. Das weiße Kirchlein Agios Joannis überwacht diesen fast magischen zerklüfteten Ort mit seinen riesigen Oleanderbüschen entlang des Flussbettes.

Der Rundweg um den von Nebelschwaden angehauchten Bardia wird anschließend auf 2 km so schlimm, dass ich selbst im Schrittempo immer wieder Erdberührung habe. Teilweise ist der Weg so ausgewaschen oder mit kleinen Felsbrocken übersät, dass ich ersteinmal Straßenbau betreiben muss, indem ich die schlimmsten Furchen mit Steinen auffülle und spitze Brocken aus der Mitte räume. Was ist, wenn ich die Ölwanne aufreiße? Aber ich muss immer weiter, da ein Wenden unmöglich ist. Die Ziegen können über meine Mühe nur meckern, leichtfüßig springen sie vor mir über Disteln und Macchia. Immer wieder zwingt ein Ziegengitter zum Anhalten, das zu öffnen und zu schließen ist. Oftmals beäugt von einem verlassenen, angebundenen Wachhund in seiner Schattentonne. Was hat der Jacki unserer Tochter doch für ein Luxusleben! Ein weiches Bettchen, 3 Malzeiten täglich und ab und an ein neues Spielzeug. Den Urlaub an der See nicht zu vergessen.

Auf einer Hügelkuppe thront kontrastreich gelb ein alter Post-VW-Bully am Ende seiner Tage als Landmarke dienend. Wo wurde er geboren, in Wolfsburg oder Osnabrück? Ich habe ihm Grüße ausgerichtet. Nach einer halben Stunde Plackerei endlich wieder eine offensichtlich befahrenere Wegstrecke, die immer besser wird, je näher ich Livadi komme. Auch das kleine Wägelchen scheint froh zu sein, wieder glatten Boden unter den Reifen zu haben. 3 1/2 Stunden für 30 km! Das Aitherio belohnt mich mit leckeren Suzukakia und einem Levko.

Mesa Nissi. Der östliche Schmetterlingsflügel ist zerklüftet, tiefe Einschnitte in die Küstenlinie bieten ein wirklich ägäisches Bild. Zwei kleine Ortschaften am Meer - Analipsi und Schinondas sind noch im Winterschlaf. Ansonsten ist auch dieser Inselteil unbewohnt. Eine ganze Ziegenherde ruht auf der Straße kurz vor Vathi. Ich kehre um, zwei angebundene Hunde bellen mich wütend an, oder freuen sie sich über mich und fordern mich auf, ihnen in der Einöde etwas zu erzählen? Was für ein Hundeleben, was für ein Gefängnis!

Als ob ich auf einer anderen Insel wäre. Große hellgraue Felsbrocken und niedrige Wacholderbüsche wechseln sich gleichmäßig ab, prägen diesen flacheren Inselteil. Die Landbrücke ist an der engsten Stelle nur ca. 100 m breit. Ich habe genug gesehen, wie der Mann, der 2 Bücher gleichzeitig lesen konnte, eins mit dem linken, eins mit dem rechten Auge, so sehe ich die 2 Inselbilder Exo und Mesa Nissi. Astypalea ist eine spröde Insel, schlecht zu wandern, vielleicht ein Ziel für ausgefuchste Mountainbiker, denn die Erschließung durch Erd- und Schotterstraßen ist optimal, nur nicht für kleine japanische Stadtautos.

Die nächtliche Ankunft gestern morgen hat mich im wahrsten Sinne im Dunklen tappen lassen, und heute habe ich einen großen Überblick. Wie eine leere Flasche, die ich am Brunnen füllte. Eine beeindruckende Insel, die mich aber nicht ruft, noch einmal hierher zu kommen. Keine Insel für den kykladensüchtigen Nissomanen. Jetzt sehne ich wieder nach Donoussa zurück, mit seinen schönen Sandstränden, trotz des schlechteren und teureren Essens, freue mich auf das morgendliche Schwimmen.

Fische schlafen auch. Ich bin schon früh am Fährhafen Agios Andreas. Die BlueStar Naxos legt gerade an, überwältigend neonstrahlend in der gelblichen Hafenbeleuchtung. Nach dem üblichen Ankunftsgewusel ruht das Schiff eine Stunde, ich sitze auf einem Eisenpoller am Kai (dass er frisch mit Farbe bekleckert war, merkte ich erst später) und sehe im dunklen Wasser die schmalen Laiber unbeweglich stehen. Zu früh kommen schafft Ruhe und Gelassenheit. Es gibt auch zufriedene kleine Hunde. Einer kommt am Hafen freudig zu mir, ich weiss ja wo Hunde am liebsten gekrault werden. Als ich aufs Schiff gehe, scheint er zu fragen: Warum gehst Du jetzt, mein Freund?

Die Sonne geht auf, Amorgós zeigt uns die schroffe, mindestens 200 m hohe Nordseite, der Küstengipfel liegt in den Wolken! Ein weißes Pünktchen in der Mitte, das Kloster Chosoviótissa. Wie vor 7 Jahren nähere ich mich Donoussa von Osten, inzwischen ist mir die Silhouette vertraut. Alle sind am Schiff, um zu verabschieden und zu begrüßen. Ich bin wieder "zu Hause". Schon streicht Kater Kralle, der Überlebende vom letzten Jahr um meine Beine.

Geschrieben 07.07.2007, Geändert 07.07.2007, 4832 x gelesen.

Was möchtest du?

Kommentare zu diesem Artikel

Kommentar von MargaritaM vom 20.04.2008 09:00:56

Hallo Christo,
ein sehr schöner Bericht über Astypalea. Deine Erfahrungen kann ich gut nachvollziehen, zwar nicht für Astypalea, dafür aber für andere Inseln. Obwohl ich bereits 2x dort war, habe ich von der Insel nicht so viel gesehen wie Du. Gesundheitliche Gründe hinderten uns. Astypalea macht es einem tatsächlich nicht so leicht, erst recht bei schlechtem Wetter. Dennoch möchte ich eines Tages noch einmal hin.Hoffentlich schaffe ich es dann, mehr von der Insel zu sehen.
LG Margarita